Trotz des starken Rückgangs der Gletscher ist es immer wieder ein wunderbares Erlebnis, ins vergletscherte Hochgebirge zu gehen. Vor allem Kärnten, Salzburg und Tirol bieten im Nationalpark Hohe Tauern ein herrliches, jedoch meist auch anspruchsvolles Ambiente.
Ich persönlich freue mich alljährlich - sowohl im Sommer als auch im Winter -, unsere Gletscher zu betreten. Entweder unternehme ich klassische Hochtouren auf Dreitausender oder ich darf junge, ambitionierte SportlerInnen zum selbständigen Bergsteigen hinführen und ausbilden.
Damit sind wir schon bei den alpinen Gefahren. Laut einer aktuellen Statistik des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit sterben in Österreich auf Hochtouren im zehnjährigen Durchschnitt sechs Personen pro Jahr. Die Zahl der Toten und Verletzten hängt eng mit den Wetterbedingungen und den örtlichen Verhältnissen zusammen. An der Spitze der Unfallursachen stehen mit großem Abstand Stürzen, Stolpern und Ausrutschen. Diesen Unfallursachen kann man mit hoher Konzentration und guter Kondition begegnen. Wer fit in die Berge geht, bringt auch Reserven mit, die in Trittsicherheit und Konzentration gesteckt werden können.
Das Ausrutschen auf Firnfeldern ist ein großes Gefahrenmoment. Am besten trainiert man das Rutschen schon im Kindes- und Jugendalter auf ungefährlichen Hängen. Rutschen – oft sogar kopfüber – und dann bremsen, mit und ohne Pickel, ist ein Spiel mit unzähligen Wiederholungsmöglichkeiten, das auch Erwachsene begeistert.
Auf Gletschern gibt es die Gefahr, in eine Spalte zu stürzen. Davor kann man sich nur durch Anseilen schützen. Daher gilt auf Gletschern: Nie alleine unterwegs sein! Wenn ein Gletscher blank ist und man alle Spalten eindeutig sehen kann, darf man auch ohne Seil gehen. Ansonsten: unbedingt anseilen! Selbst auf scheinbar harmlosen Gletschern wie auf dem Hallstätter Gletscher am Dachstein oder auf dem Fleißkees am Hohen Sonnblick kommt es zu Spaltenstürzen. Im August 2011 ereigneten sich dort nahezu zeitgleich Spaltenstürze von Alleingängern mit fatalem Ausgang. Bei derartigen Unfällen hat man meist dasselbe Bild: Mit zunehmender Tageserwärmung brechen Schneebrücken, die nicht erkannt werden, durch die Belastung eines Bergsteigers oder auch spontan ein.
Bergung mittels Mannschaftszug
Wenn man angeseilt geht, muss man die notwendigen Bergetechniken beherrschen. Ist die Gruppe groß genug (ab vier bis fünf Personen am Seil), ist das Halten eines Spaltensturzes relativ einfach. Auch die Bergung mittels Mannschaftszug geht schnell. Hier muss man sogar aufpassen, dass die große Kraft, die die drei Kameraden beim Heraufziehen aufbringen können, den Gestürzten nicht verletzen. Die Person, die dem Spaltenrand am nächsten ist, führt das Kommando, sichert sich mit einem Prusik am Sturzseil – oder mit einer modernen Seilklemme – und geht vor zum Spaltenrand, während die anderen Gruppenmitglieder an ihrer Position stehen oder sitzen bleiben. Der Kommandoführer nimmt mit dem Gestürzten Kontakt auf und macht den Weg zum Herausziehen frei: Er tritt den Schnee, in den das Seil am Spaltenrand eingeschnitten ist, vorsichtig hinunter und hebt bei jedem Hub das meist tief eingeschnittene Sturzseil heraus. Dann gibt er das Kommando „Hau ruck!“, und die anderen Gruppenmitglieder gehen einen Schritt zurück. Der Gestürzte hat seinen Rucksack abgeworfen, der nun in seiner Abwurfschlinge hängt und damit das aufrechte Hängen wesentlich erleichtert. Diese Rucksack-Abwurfschlinge verwenden wir, seitdem wir am Gletscher nur mehr mit einem Hüftgurt angeseilt unterwegs sind. Wir binden eine Bandschlinge an der Rucksack-Trageschlaufe, oft gemeinsam mit einem Träger, mit einem Ankerstich fest und hängen dann diese Bandschlinge mit einem separaten Karabiner in den Hüftgurt. Schon bald ist der Gestürzte gerettet, der sich beim Sturz hoffentlich nicht mit seinen Steigeisen oder mit dem Pickel verletzt hat.
Bergung zu dritt
Ist man nur zu dritt angeseilt, ist das Halten eines Spaltensturzes schon eine große Herausforderung. Vor allem am Nachmittag beim Abstieg, wenn der Schnee schon richtig weich ist und die meisten Seilpartner vom Gipfelgang schon müde und eher unaufmerksam sind. Hier helfen ein paar Knoten im Seil zwischen den Partnern, die das Bremsen wesentlich erleichtern, und vor allem eine strenge Seildisziplin. Das heißt, dass das Seil zwischen den Teilnehmenden stets gespannt ist und den Boden während des Gehens nicht berührt. Als Bremsknoten verwenden wir schon seit vielen Jahren den Butterfly, da er eine bessere Bremswirkung als der Sackstich hat. Bei einem Sturz eines Seilpartners in eine Gletscherspalte muss man sofort seinen Körperschwerpunkt in Bodennähe bringen – man muss sich also aktiv hinsetzen; ansonsten besteht die große Gefahr, dass man stolpert, auf den Bauch fällt und wie eine Rakete in Richtung Spaltenrand schießt. Das habe ich bei Übungen schon sehr oft beobachten müssen – jedoch risikolos, da solche Übungen standardmäßig rückgesichert werden.
Bergung zu zweit
Unternimmt man nur zu zweit eine Gletschertour, ist die Kameradenrettung wesentlich aufwendiger. Erstens muss man eine fixe Verankerung mittels Eisschrauben oder mit T-Ankern aufbauen. Zweitens ist das einfache Anziehen am Sturzseil viel zu anstrengend oder auch gar nicht möglich, da ja die Bremsknoten im Schnee dies verhindern. Da hilft nur die Seilrollentechnik mit gesichertem Arbeiten am unmittelbaren Spaltenrand. In alpinen Ausbildungskursen, die jede(r) eigenverantwortliche BergsteigerIn zumindest einmal besucht haben sollte, sind solche seiltechnischen Übungen Standard.
Selbstrettung durch Aufprusiken
In Gletscherkursen übt man auch die Selbstrettung durch sogenanntes Aufprusiken. Bei dieser Technik bleiben die Gruppenmitglieder, die den Spaltensturz hoffentlich gehalten haben, einfach sitzen, und der Gestürzte „prusikt“ sich am Sturzseil selbst auf. Bei trainierten und gut zusammengespielten Teilnehmenden ist jegliche Mischform einer Seilrollenbergung mit Aufprusiken die effektivste Form, rasch und ohne große Kraftanstrengung aus einer Gletscherspalte herauszukommen.
Auch moderne und an der richtigen Position eingesetzte Seilklemmen unterstützen jegliche Bergung sehr gut. Das jährliche Üben der Rettungstechniken gibt einem die Sicherheit, im Ernstfall gezielt und rasch agieren zu können. Die Naturfreunde bieten in diesem Bereich viele Kurse an (siehe auch Seite 39).
Eine große Herausforderung für jede(n) TourenführerIn ist es, die dem Gelände entsprechende richtige Seiltechnik anzuwenden. Einerseits möchten wir uns durch das Anseilen in größeren Gruppen vor einem Spaltensturz schützen. Andererseits gibt es immer wieder Passagen, in denen nicht die Spaltensturzgefahr im Vordergrund steht, sondern - vor allem bei hartem Schnee und Eis - das Sichern der Gruppe gegen einen Absturz. Dieser Wechsel der Sicherungstechniken erfordert ein gutes Einschätzungsvermögen der Verhältnisses und des Geländes.
Die Orientierung am Gletscher, vor allem bei schlechten Sichtverhältnissen und bei unklarer Spuranlage, ist nicht immer leicht. Den sicheren Umgang mit einer Karte, wenn die Sicht noch ausreichend ist, kann man gut erlernen und üben. Auch der Einsatz moderner Geräte wie GPS inklusive Höhenmesser- und Kompassfunktion muss trainiert werden.
Die verwendeten Karten und Gebietsführer müssen auf dem aktuellen Stand sein. Die hohen Gletscherstände, oft verbunden mit mächtigen Firnschneeauflagen der vergangenen Jahrzehnte, gaben bei vielen Touren wenig Anlass, die Gefahren von Spaltenstürzen zu berücksichtigen. Die Tourenbeschreibungen sind wegen der rapiden Gletscherrückgänge stets neu zu bewerten; nur dann kann man geschickte Alternativvarianten herausfinden. Hüttenwirtsleute können einem sehr oft die jeweils aktuelle optimale Spur empfehlen.
Das Wetter im sommerlichen Hochgebirge beschert uns zwei unterschiedliche Gewitterarten. Sind Wärmegewitter angesagt, geht man möglichst früh los und beobachtet während der Tour den Himmel aufmerksam, damit man rechtzeitig in einer schützenden Hütte einlangt. Wärmegewitter sind auf den Wetterkarten durch eine flache Hochdruckverteilung gut zu erkennen.
Gewitter, die eine Kaltfront einleiten (Frontgewitter), werden in alpinen Wetterberichten meist schon auf die Stunde genau vorausgesagt. Darauf kann man sich, mit ein bisschen persönlicher Reserve, sehr gut verlassen. Das notwendige Hintergrundwissen über Wetterkunde holt man sich am besten in einem der Kurse der Naturfreunde oder unter www.naturfreunde.at/wetter
Text: Dr. Marcellus Schreilechner, Bundesbergsportreferent der Naturfreunde Österreich, Leiter der Instruktorenausbildung Hochtouren der Bundsportakademie Linz, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer, gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Alpinistik, lebt mit seiner Frau Karin und seinen drei Kindern in Trofaiach/Steiermark, Fotos: Gregor Hartl, Marcellus Schreilechner