www.naturfreunde.at

Lawinenrisiko reduzieren

Mit der von den Naturfreunden entwickelten Matrix W3 – Wer geht wann wohin?, können WintersportlerInnen, die gerne abseits der Pisten unterwegs sind, ihr lawinenkundliches Bewusstsein schärfen, sich selbst und ihre Kompetenzen besser einschätzen und letztendlich ihren Handlungsspielraum im winterlichen Hochgebirge erweitern. Bei der Matrix W3 stehen keine Einzelhänge, Rutschblocktests oder mathematische Berechnungen im Mittelpunkt, sondern man selbst und seine Fähigkeiten.

Faktoren zur Reduktion des Lawinenrisikos sind die sorgfältige Planung der Schitour, eine klare Wahrnehmung der aktuellen Situation - sowohl bei der Planung als auch vor Ort -, die Steuerung der Gruppengröße, eine einwandfreie Kommunikation während der Tour, das Einhalten von Standardabständen, die Vermeidung von Expositionen und Geländestrukturen, die im Lawinenlagebericht als besonders gefährlich bezeichnet werden, eine gezielte und geschickte Spuranlage sowie der Blick in die Schneedecke: Gibt es eine Schwachschicht? Ist der Schnee darüber gebunden? Bin ich bzw. sind die Gruppenmitglieder der Tour gewachsen?

Alle diese Faktoren zählen zu einem ganzheitlichen Ansatz in der Betrachtung und Beurteilung der Lawinensituation. Diese Betrachtung und schlussendlich der bewusste Verzicht auf einzelne Tourenabschnitte oder sogar auf eine komplette Unternehmung bringen uns die angestrebte Risikoreduktion. Schitouren- und SchneeschuhgeherInnen sowie FreeriderInnen sollten sich stets folgende Fragen stellen:

 

WER? Welche Kompetenzen habe ich? In welchem Sektor kann ich mich aufgrund meines Wissens, meiner Ausbildung und meiner Erfahrung risikoarm bewegen? Wo stoße ich an Grenzen? Wer begleitet mich und beeinflusst mein Risiko?

 

WANN? Wie sind derzeit die Verhältnisse bzw. wie werden sie sich im Laufe meiner Unternehmung entwickeln?

 

WOHIN? Ist mein Tourenziel richtig gewählt? Welche möglichen Gefahrenstellen gibt es? Welche Alternativen habe ich?

 

 

Die Risikofaktoren

Bei der Auslösung eines Schneebretts treffen immer folgende vier Faktoren zusammen:

  • gebundener Schnee,
  • eine Schwachschicht im Schnee,
  • eine Hangneigung von mehr als 30 Grad und
  • eine ausreichende Zusatzbelastung.
  • In der Praxis ist es jedoch eine Herausforderung, die maßgeblichen Faktoren, die eine lokale (so weit das Auge reicht) und eine zonale (den Einzelhang betreffende) Lawinensituation beeinflussen, im Gelände zu erkennen und ihr Zusammenwirken zu verstehen. Ein wesentlicher und einigermaßen gut erkennbarer Faktor ist die Geländesteilheit, die wir in
  • mäßig steiles Gelände unter 30 Grad und
  • Spitzkehrengelände über 30 Grad Steilheit unterteilen können.

 

Etwa 95 % aller Lawinenunglücke passieren im Gelände mit mehr als 30 Grad Hangneigung.

Bei der Auslösung eines Schneebretts bricht ein kleiner Teil der vorhandenen Schwachschicht in sich zusammen. Ist die Schwachschicht flächig in der Schneedecke vorhanden, pflanzt sich der Bruch fort. Ist die Reibung zwischen den Bruchflächen nicht ausreichend, kommt es zu einer Auslösung und in Folge zum Abgleiten eines Schneebretts.

 

Maßgeblicher Faktor dafür ist die Hangneigung, denn ab 30 Grad können trockene Schneebretter abgleiten. Allerdings muss hier auch der räumliche Einflussbereich unserer Spur, die wir im Gelände anlegen, mit berücksichtigt werden. Bei einer geschlossenen Schneedecke kann man nämlich auch vom flacheren Hangfuß aus die Schneedecke in darüber liegenden steilen Hangbereichen stören und das Abgleiten von Schneebrettern aus der Ferne auslösen.

In Steilhängen über 30 Grad ist die Hangrichtung der wesentliche Einflussfaktor für die Lawinenbildung.

 

Faktoren wie das Vorhandensein von Schwachschichten oder gebundenem Schnee findet man im Lawinenlagebericht, der die aktuellen Verhältnisse für große Gebiete (größer als 100 km2) zusammenfasst; für die Einteilung der Lawinengefahr wird eine international vereinheitlichte Gefahrenskala von 1 bis 5 benutzt. Bei sehr großer Lawinengefahr – Gefahrenstufe 5, bei der Selbstauslösungen sehr großer Lawinen drohen, sind Schitouren kaum möglich. Die verbleibenden Gefahrenstufen 1 bis 4 kann man in eine untere Hälfte mit überwiegend sicheren und mehrheitlich günstigen Verhältnissen (Gefahrenstufe 1 und 2) und eine obere Hälfte mit teilweise ungünstigen bis allgemein ungünstigen Verhältnissen (Gefahrenstufe 3 und 4) teilen.

 

Einsteiger

Risikobewusste EinsteigerInnen sollten die 30-Grad-Grenze nicht überschreiten und über Grundkenntnisse der Gefahrenstufeneinteilung verfügen. Sie sollten sich selbstständig nur bei günstigen Verhältnissen im winterlichen Gebirge bewegen.

Ob die Situation als günstig einzuschätzen ist, zeigt bereits der erste Blick auf den Lawinenlagebericht: In den Farben Grün und Gelb präsentieren sich die Gefahrenstufe 1, bei der sich Gefahrenstellen auf das extreme Steilgelände beschränken, und Gefahrenstufe 2 mit einer allgemein gut verfestigten und von einem einzelnen Schifahrer kaum zu störenden Schneedecke.

Man muss die Standard-Notfallausrüstung (LVS, Schaufel und Sonde) mitführen und auch richtig anwenden können.

 

Mäßig Fortgeschrittene

Auch mäßig Fortgeschrittene sollten die 30-Grad-Grenze nicht überschreiten. Grundkenntnisse des Lawinenlageberichts, insbesondere das Verinnerlichen der beschriebenen Gefahrenbereiche, sowie das Erkennen von Geländefallen sind die Voraussetzung, um auch bei ungünstigen Verhältnissen risikobewusst im winterlichen Gebirge unterwegs zu sein.

Typische Geländefallen sind beispielsweise kleine, eingewehte Mulden mit relativ steilen Flanken. Auch Waldlücken und -schneisen, die
eine gewisse Sicherheit suggerieren, sollten nicht dazu verleiten, steiler als 30 Grad unterwegs zu sein.

Darüber hinaus muss auch der mäßig Fortgeschrittene erkennen, dass es typische Lawinensituationen gibt, die selbst bei geringer Gefahrenstufe und mäßiger Hangneigung zum Risiko werden können - beispielsweise wenn die Schneedecke im Tagesverlauf zunehmend durchnässt wird oder wenn von Rissen in der Schneedecke unberechenbare Gleitschneelawinen drohen.

Im Sinne einer sorgfältigen Tourenplanung und unter einwandfreien Sichtverhältnissen können Lawineneinzugsgebiete einschließlich der Auslaufzonen möglicher Lawinen bewusst vermieden werden.

 

Fortgeschrittene

Fortgeschrittene WintersportlerInnen, die in einem Gelände mit über 30 Grad Neigung risikobewusst unterwegs sein möchten, sollten lawinenrelevante Gefahrenzeichen wahrnehmen können, sich der typischen Lawinensituationen bewusst sein sowie gebundenen Schnee erkennen.

Typische Lawinensituationen fassen wiederkehrende lawinenbildende Modelle geschickt zusammen; sie sind heute ein wesentlicher Bestandteil jedes Lageberichtes. Um diese typischen Lawinensituationen, die immer mit charakteristischen Wetterabläufen im Zusammenhang stehen, zu verstehen und im Gelände nachvollziehen zu können, bedarf es einer seriösen Ausbildung und in weiterer Folge einer reflektierten Erfahrung. Dazu gehört auch eine sichere Schitechnik, sowohl im Aufstieg als auch in der Abfahrt, um risikoreduzierende Entlastungsabstände konsequent einhalten zu können und unnötige Zusatzbelastungen (z. B. durch Stürze) zu vermeiden.

 

Profis

WintersportlerInnen, die auch bei ungünstigen Verhältnissen in steilem Gelände über 30 Grad risikobewusst unterwegs sein wollen, sollten eine intensive Beobachtung und Bewertung der lokalen Lawinensituation eigenverantwortlich durchführen können.

 

Zusätzlich sind ein umfangreiches Verständnis und eine gezielte Interpretation des Lawinenlageberichts sowie das Wissen über den aktuellen Schneedeckenaufbau (inklusive Schwachschichten) notwendig. Profis müssen die Zusammenhänge zwischen Wetter und Schneedeckenentwicklung verstehen, die in der Schneedecke ablaufenden Prozesse nachvollziehen sowie Schneedeckenuntersuchungen zum Erkennen von Schwachschichten machen können.

Die Lawinenwarndienste halten für Profis vielfältige Informationen bereit: u. a. aktuelle Wetter- und Messdaten von Gebirgswetterstationen, aktuelle Schneeprofile, detaillierte Gefahrenmuster sowie Rückmeldungen aus der Praxis.

 

Vor allem bei ungünstigen Verhältnissen ist die Risikobewertung bereits bei der Tourenplanung wichtig. Gerade bei ungünstigen Verhältnissen müssen Profis auch erkennen, ob das Gelände über 30 Grad zu meiden ist!

 

ANZEIGE
Angebotssuche