An die SPÖ-Parteivorsitzende & Klubchefin Dr.in Pamela Rendi-Wagner und NEOS-Parteivorsitzende & Klubchefin Mag.a Beate Meinl-Reisinger
Wien, 12. Oktober 2018
Sehr geehrte Frau Dr.in Rendi-Wagner, sehr geehrte Frau Mag.a Meinl-Reisinger!
Das von der Bundesregierung geplante Staatsziel Wirtschaftsstandort ist in der öffentlichen Begutachtungsphase im Frühjahr glatt durchgefallen. Eine breite Allianz aus Umweltschützern, Wissenschaftlern und Juristen hat fundierte Einwände vorgebracht. Auch die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs zeigte sich skeptisch und plädierte dafür, die Staatszielbestimmungen nicht weiter auszuweiten. Selbst das ÖVP-geführte Finanzministerium befürchtete in seiner ersten Stellungnahme einen neuen Zielkonflikt im Verfassungsrang und warnte sogar explizit vor dem Risiko von Investorenklagen, bevor eine eilig schöngefärbte Version nachgeschickt wurde. Ein weiteres Indiz dafür, dass das neue Staatsziel ohne große Rücksicht auf Verluste politisch durchgepeitscht werden soll. Schließlich ist das Vorhaben der Bundesregierung ganz bewusst darauf angelegt, die bisherige Verankerung von Nachhaltigkeit, Tierschutz und Umweltschutz in der Verfassung abzuschwächen bzw. zu entwerten.
Umso mehr sind Sie persönlich gefordert, dem geplanten neuen Staatsziel im Parlament keine Zustimmung zu erteilen. Daher bitten wir Sie, die notwendige Zweidrittel-Mehrheit sowohl im Nationalrat, als auch im Bundesrat zu verweigern sowie den Parlamentsklubs von SPÖ bzw. NEOS ein entsprechendes Stimmverhalten zu empfehlen. Nachhaltigkeit und Umweltschutz als Anliegen der gesamten Bevölkerung dürfen nicht leichtfertig aufgrund der Partikularinteressen einzelner Projektbetreiber aufs Spiel gesetzt werden. Wer sich hier dennoch zum Steigbügelhalter der Bundesregierung macht, verliert jede umweltpolitische Glaubwürdigkeit.
Obwohl der bisher vorgeschobene Anlass für die Novelle spätestens seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zur Bewilligung der dritten Piste des Flughafens Wien weggefallen ist, will die Bundesregierung weiterhin das Staatsziel „Umfassender Umweltschutz“ aufweichen. Ein besonders bedenkliches Signal. Denn gerade das bestehende Bundesverfassungsgesetz Nachhaltigkeit wurde maßgeblich von der Zivilgesellschaft getragen und hat das Ziel, einen Ausgleich zwischen den konkreten wirtschaftlichen Einzelinteressen der Projektbetreiber und den für die gesamte Bevölkerung zentralen, aber allgemein definierten Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung zu schaffen. Dennoch unterstellt die öffentliche Begründung der Novelle eine Unvereinbarkeit zwischen wirtschaftlichen Interessen und Umweltschutz, die tatsächlich nicht zutrifft. Einerseits schützen Umweltschutzbestimmungen die Lebensgrundlage der gesamten Bevölkerung und nicht nur einzelner Personen, andererseits zeigen zahlreiche Unternehmen, dass der positive Einsatz für Umweltinteressen mit wirtschaftlichen Chancen und Arbeitsplätzen verbunden ist.Längst hat sich in weiten Teilen der Gesellschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass das gemeinsame Ziel einer nachhaltigen Entwicklung nur mit der Vereinbarkeit von Klima- und Umweltschutzschutzmaßnahmen mit zukunftsfähigen Arbeitsplätzen, sozialer Sicherheit und nachhaltigem Wirtschaften zu erreichen ist. Nicht zuletzt deswegen hat sich die Republik Österreich 2015 zur Umsetzung der „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen bekannt. Umso bedenklicher ist, dass die aktuelle Bundesregierung in krassem Gegensatz dazu eine einseitige Kräfteverschiebung zugunsten kritischer Großprojekte plant. Denn auf das umstrittene Staatsziel folgen noch ein eigener Standortanwalt, der in UVP-Verfahren Umweltanliegen kleinreden soll, sowie ein besonders gefährliches Standortentwicklungsgesetz, das potenziell umweltschädliche Großprojekte mit einer rechtswidrigen Genehmigungsautomatik durchboxen will. Parallel dazu gibt es schon sehr konkrete Pläne, hohe österreichische Umweltstandards auf die Mindestvorgaben von EU-Richtlinien zurechtzustutzen.
Unser Fazit: Unter dem Deckmantel der Verfahrensbeschleunigung sollen Umweltstandards und Beteiligungsrechte geschwächt und nach Möglichkeit ausgehebelt werden. Wenn sich diese Linie durchsetzt, landet Österreich bald wieder in der Zeit vor Zwentendorf und Hainburg. Umso mehr bitten wir Sie, diesen gefährlichen Kurs der Bundesregierung nicht mitzutragen und aktiv für eine nachhaltige Entwicklung Österreichs einzutreten.
Mit freundlichen Grüßen
Naturfreunde Österreich
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