An einem sonnigen Samstag im Mai ertastet sich ein riesiger, blinder Tausendfüßer vorsichtig und etwas ungelenk seinen Weg durch die Tiroler Bergwelt. Seine 14 barfüßigen Menschenbeine wandern über Steine, Äste und Gras, auf einer sandigen Forststraße, dann auf moosigem Waldboden. Er nähert sich einem immer lauter werdenden Rauschen. Abrupt kommt er zu stehen. 14 Hände nehmen die Augenbinden ab. Den gespannten Blicken des menschlichen Tausendfüßers bietet sich ein beeindruckendes Bild: Ein vom Hochwasser angeschwollener Bach fließt über die Ufer und strömt in Mäandern durch den Wald, bevor er weiter unten in den alten Bachlauf zurückkehrt.
Natureindrücke und Naturerfahrungsspiele wie der beschriebene „Tausendfüßer“ sind Inhalt der Kampagne „Wasser:Wege“, einer Kooperation zwischen den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf) und den Naturfreunden, die 2011 gestartet wurde und bis 2015 läuft. Das Ziel der von der UNESCO als Dekadenprojekt für Bildung und nachhaltige Entwicklung ausgezeichneten Kampagne ist es, im Rahmen verschiedener Aktivitäten wie Seminaren und Ausflügen auf den Wert und die Gefährdung der heimischen Wasserlebensräume aufmerksam zu machen.
Obwohl Österreich mit zahlreichen naturbelassenen Gewässern gesegnet ist, gibt es auch hierzulande Probleme. Das Hochwasser im Frühjahr 2013 hat wieder gezeigt, dass vielen regulierten Flüssen der Platz fehlt, wenn der Wasserpegel steigt. Zudem ist mancherorts noch immer der starke Nährstoffeintrag durch Landwirtschaft und Industrie ein Problem; die frei werdenden Nitrate sind nicht nur Gift für die Wasserlebewesen, sondern auch für uns Menschen. Und nicht zuletzt gehen durch Verbauung im Zuge von Siedlungs- und Tourismusprojekten artenreiche Wasserlebensräume verloren.
Unter dem Motto „Natur verstehen, erleben, schützen“ bieten die Naturfreunde gemeinsam mit den ÖBf vielfältige Aktivitäten rund um die heimischen Gewässer an. Jährlich wechselnd waren bereits folgende Lebensräume im Fokus: „Gletscher, Karst & Bergwälder“, „Bäche, Flüsse & Auwälder“ sowie „Seen & Uferzonen“. Heuer stehen Moore & Bruchwälder im Mittelpunkt. Über die Ökologie sowie Flora und Fauna dieser Lebensraumtypen informieren eigene Broschüren, die kostenlos erhältlich sind.
Eines der Hauptanliegen der Kampagne „Wasser:Wege“ ist es, den Zugang zu diesen Lebensräumen zu ermöglichen: Bei Ausflügen und Führungen in Begleitung von Naturpädagoginnen/-pädagogen der ÖBf und der Naturfreunde konnten bisher zu Fuß und auf dem Wasser beispielsweise die Bergwälder des Toten Gebirges, die Donau-Auen und der Hallstätter See erlebt werden.
Eine wichtige Zielgruppe für Aktivitäten in der freien Natur sind Kinder und Jugendliche. So wurden gemeinsam mit Schulkindern in Vorarlberg und in der Steiermark Projekte umgesetzt, welche die Kids für die heimischen Gewässer sensibilisierten.
Wie kann man Kindern die Besonderheiten von Wasserlebensräumen am besten vermitteln? Im Zuge der Kampagne wurde der sogenannte Wasser:Rucksack entwickelt – ein Umweltbildungsset speziell für die Verwendung an Fließgewässern. Dieser Rucksack enthält neben einer Infomappe und Bestimmungsbüchern Pinsel, Lupen, Tassen und Kescher, mit denen man Wasserlebewesen fangen und studieren kann. In regelmäßig stattfindenden Schulungen können Naturfreundinnen/-freunde sowie Försterinnen/Förster lernen, wie man den Wasser:Rucksack auf einem Ausflug mit Kindern einsetzt.
Auch der Schutz von Wasserlebensräumen kommt in der Wasser:Wege-Kampagne nicht zu kurz. Es geht aber nicht nur darum, Menschen für ein rücksichtsvolles Verhalten bei Aufenthalten an Gewässern zu sensibilisieren, sondern auch selbst Hand anzulegen. In Umweltworkcamps helfen Jugendliche bei Erhaltungsmaßnahmen der Bundesforste mit: Sie dämmen zum Beispiel in Schutzgebieten gebietsfremde Arten ein oder bewahren geschädigte Moorflächen vor dem Zuwachsen durch Bäume.
Im Frühling 2014 startete das letzte Jahr der Kampagne „Wasser:Wege“; zum Thema „Moore & Bruchwälder“. Moore gehören zu den vielfältigsten Lebensräumen Europas; sie sind jedoch durch menschliche Eingriffe oft stark beeinträchtigt. Deshalb haben die ÖBf und die Naturfreunde Internationale auf Wanderungen und in Workcamps gezeigt, wie gestörte Moore revitalisiert werden können.
Text: Dr. David Bröderbauer, Naturfreunde Internationale, zuständig für Biodiversität und Umweltbildung