Laufen bietet im Kosten-Nutzen-Vergleich einen nahezu unübertroffenen Output hinsichtlich der Verbesserung des Ausdauerleistungsvermögens. Die Anschaffungs- und Materialkosten sind überschaubar, laufende Investitionen wie z. B. im Radsport (Service) sind vernachlässigbar. Laufen kann man nahezu überall! Dass ein Industriezweig samt Laufgurus daran trotzdem was verdienen will, ist klar. Somit werden Nischen geschaffen, und das Laufen wird auf mehrere Segmente aufgeteilt.
In den 1970er-Jahren begann der erste Laufboom, und damit kam es vermehrt zu den auch heute noch bekannten negativen Laufnebenwirkungen. Dämpfen, stützen und führen lautete die Antwort, die Forscher und Schuhindustrie in den nächsten Jahrzehnten bis zum Exzess ausschlachteten. Wie hätte man sonst das kurzzeitig wirkende zwei- bis dreifache Körpergewicht reduzieren können, wenn nicht mit einem ordentlichen Stoßdämpfer? Den muskulären und bindegewebigen Strukturen traute man eine so heikle Aufgabe nicht zu, die Schuhe sollten hier Abhilfe schaffen. Die Verletzungsraten konnten aber mit all den Hightech-„Waffen“ nicht gesenkt werden.
Heute heißt es zurück zum Ursprung, zur Natur, zu unseren Wurzeln. Die Firmen springen gerne auf diesen Zug auf oder geben selbst die Richtung vor. Die neuen Schuhe - reduziert auf ein Minimum, gepaart mit schönen Landschaftsaufnahmen - lassen moderne Herzen höher schlagen.
Beim Natural Running steht der Laufschuh mit der Verbesserung der Lauftechnik im Vordergrund und soll den Pfad weg vom Fersenlauf ebnen und dadurch zu einer Minimierung von Verletzungen beitragen. Einem natürlichen Laufgefühl und all den daraus resultierenden positiven Nebenwirkungen steht somit nichts mehr im Weg. Das Laufen in sogenannten Minimalschuhen oder Barfußschuhen (Barfußsocken) ist eine konsequente Weiterführung des Natural-Running-Konzepts. Man verzichtet auf eine dämpfende Zwischenschicht, die schützende Sohle steht im Vordergrund.
Bei vielen anderen Laufvarianten werden meist bestehende Trainings- oder Lebenskonzepte mit dem Laufen verbunden. So sind Chi Running oder Laufen mit Feldenkrais entstanden.
Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass der Laufschuh passt und einen halbwegs natürlichen Laufstil zulässt. Die Hauptaufgabe ist die Schutzfunktion, und somit spielt die Dämpfung eine weniger große Rolle als die Sohle. Der Fußaufsatz passiert im Bereich des Vorfußes (nicht der Zehen) und stellt somit einen Kernpunkt des natürlichen Laufens dar, bei dem die Fersendämpfung ausgedient haben sollte. Auf den Punkt gebracht heißt das, dass der Schuh leicht, flach und flexibel sein sollte. Dämpfen heißt nichts anderes als Energievernichtung oder besser gesagt Umwandlung. Aber wer will schon für ein Dämpfungssystem arbeiten, anstatt seine Energie in den Vortrieb zu stecken, beziehungsweise auf einer instabilen Unterlage unterwegs sein?
Aus meiner Sicht haben Laufeinsteigerinnen und -einsteiger sogar günstigere Voraussetzungen als gut trainierte Personen. Ihre Muskulatur kann sich langsam an die Belastung gewöhnen, weil die Ausdauerkomponente meist noch nicht so gut ausgeprägt ist. Der Umstieg von lauferfahrenen Personen, die gut gedämpftes Schuhwerk vertragen gelernt haben, geht meist nicht so problemlos vonstatten, da die Umfänge und Intensitäten, die absolviert werden können, dem Bewegungsapparat zu wenig Zeit zur Anpassung lassen. Für die fortgeschrittenen LäuferInnen empfiehlt sich eine langsamere Anpassung des Schuhwerks. In den höheren Gewichtsklassen kann ein bisschen mehr an Dämpfung angedacht werden. Hier stellt sich aber die Frage, ob die eingesetzten Materialen nicht überschätzt werden und für übergewichtige Menschen nicht auch andere Ausdauerformen zum Einsatz kommen sollten.
Für Kinder gilt bei der Schuhauswahl das Gleiche wie für Erwachsene: Sie sollen flach, leicht und flexibel sein. Zum Testen der Flexibilität braucht man den Schuh nur in die Hand zu nehmen und ihn in alle Richtungen zu biegen. Beim Lauftraining mit dem Nachwuchs stehen Spielformen im Vordergrund, die eine variantenreiche motorische Grundschulung abdecken. Lange, monotone Laufeinheiten entsprechen nicht dem Naturell von Kindern!
Trail Running ist eine Form des Langstreckenlaufs abseits asphaltierter Straßen. Beim Trail Running geht es um die Auseinandersetzung zwischen Umwelt und den Laufenden. Das Erleben, Spüren und Wahrnehmen stehen im Vordergrund. Die räumliche und zeitliche Ausdehnung ist ebenfalls wichtig und gibt die unterschiedlichen Wirkrichtungen vor.
In den südlicheren Länder spielt Trail Running schon länger eine große Rolle. Traditionelle Veranstaltungen wie der UTMB® (Ultra-Trail du Mont-Blanc®) rund um die höchste Erhebung der Alpen mit 168 km und über 9000 Hm werden bereits seit Jahrzenten ausgetragen und können nur über Vorausscheidungen und einem zusätzlichem Ausloseverfahren gebucht werden. In Japan gilt man nach Absolvierung solcher Bewerbe als unsterblich! So fühlt man sich auch, wenn man die Strapazen hinter sich gebracht und seine Grenzen ein Stück weit ausgelotet hat. Das Unbekannte (Kann ich es schaffen?), das Überwinden von Schmerzen, Hunger etc. sind Aspekte, die in unserer zivilisierten Welt kaum erlebt werden. So mancher sehnt sich daher nach ein bisschen Abenteuer abseits der versiegelten Wege. Trail Running trifft diesen Nerv ganz gut, und jede/jeder kann bestimmen, in welchen Dimensionen sie/er die Natur laufend erleben will und kann.
Alle Aspekte des Natural Running oder Barfußlaufens findet man natürlich auch im Trail Running. Die Sohle als Nahtstelle zwischen Umwelt und uns ist beim Laufen im Gelände das Um und Auf. Die Schuhe sollten auf unterschiedlichen Untergründen möglichst guten Halt gewähren. Das Spiel mit unterschiedlichen Distanzen und Höhenlagen mit allen Konsequenzen gehört ebenfalls dazu. Das Trail Running ist so breit gefächert wie das Leben selbst. Jeder kann sich seine eigene Definition zurechtlegen. Das Erleben der Natur ist aber sicherlich vordergründig.
Der Einstieg zum Traillaufen ist denkbar einfach. Wald- und Schotterwege im kupierten Gelände bieten sich an. Bergauf kann man sich sehr gut mit der Intervallmethode aufwärts arbeiten. Zuerst im Minutentakt zwischen Gehen und Laufen wechseln. Das Bergablaufen sollte von Anfang an mittraininert werden. Das Gefühl, ohne viel Bremskraft mit kleinen Schritten und hoher Frequenz nach unten zu rollen, muss langsam entwickelt werden. Der Fußaufsatz liegt hier ebenfalls am Ballen, denn nur hier ist ein rechtzeitiges Reagieren möglich und die gesamte Muskulatur kann zum Einsatz kommen und ist jederzeit bereit. Beim Fersenaufsatz ist diese Spannung nicht gegeben und führt zwangsläufig zu Verletzungen, vor allem im Kniegelenk.
Krampfhafte Versuche, die Lauftechnik in Eigenregie umzustellen, sind meist zum Scheitern verurteilt. Am besten sucht man Unterstützung bei den ausgebildeten Laufinstruktorinnen und -instruktoren der Naturfreunde. In einer Gruppe mit Gleichgesinnten machen Übungen zur Technikverbesserung oder -umstellung sowieso mehr Spaß!
Text: Gerhard Schiemer, Leiter für Aufbauseminare Laufen, Sportwissenschafter im Kletterzentrum Weinburg und aktiver Trail Runner im österreichischen Nationalteam (WM-Starter 2015)