„Peeeeter, kooomm!“ Zum gefühlt fünfzigsten Mal starten wir eine neue Runde. „Ich fahr vorne!“ Kilian ist noch keine drei Jahre alt, und jede Runde frag ich mich aufs Neue, woher seine endlose Energie kommt. Mit dem Laufrad fetzt er durch einen Parcours, den wir gemeinsam kreuz und quer durch den Garten, über die Terrasse, zwischen Bäumen und über eine kleine Wippe gebaut haben. Ich muss selbstverständlich mitfahren, einmal vorne weg, dann wieder hinterher, Runde für Runde, ohne Ausnahme. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, radelt Kilian in den Kindergarten, zum Spielplatz mit der BMX-Bahn oder sogar bis zum Badesee.
Bei Kindern sollte jegliche Form von Bewegung, Spiel und Sport gefördert werden. Gerade die Vielseitigkeit wirkt sich auf die motorische und psychosoziale Entwicklung äußerst positiv aus. Mountainbiken bietet viele tolle Anknüpfungspunkte für motorische Lernprozesse, vor allem in koordinativer Hinsicht. Es stellt hohe Anforderungen an die Gleichgewichts- und Reaktionsfähigkeit und fördert maßgeblich Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse. Wegabschnitte müssen ununterbrochen analysiert werden, und die motorischen Handlungen werden darauf abgestimmt ausgeführt. Auch Kraft und Ausdauer verbessern sich stetig. Diese Fortschritte sollten jedoch nie im Mittelpunkt stehen, sondern immer nur eine nette Begleiterscheinung bleiben.
Der erste Schritt zum Mountainbiken ist, wenig verwunderlich, das Radfahren. Radfahren spielt einen wichtigen Part in der Kindheit, weil damit der Bewegungsradius sprunghaft vervielfacht wird. Viel bewegungsorientierte Freizeit ging in den letzten Jahrzehnten durch die wachsende Angst vor dem Verkehrswahnsinn verloren. Doch dieser nachzugeben und die Kinder stattdessen zu Hause dem digitalen Überangebot zu überlassen ist hinsichtlich ihrer Entwicklung mindestens genauso verantwortungslos. Ziel sollte es sein, dass unsere Kids allgemein motorisch und im Speziellen radfahrtechnisch entsprechende Qualifikationen aufbauen, damit sie möglichst bald ihren Bewegungsraum vergrößern und mit dem Rad die Welt erkunden.
Wenn ich vom Mountainbiken schreibe, meine ich in erster Linie das Fahrradfahren auf unbefestigten Wegen, wobei Fahrtechniken angewendet werden, die beim üblichen Radfahren auf der Straße nicht benötigt werden. Doch gerade die richtigen Reaktionen und Handlungen in ungewöhnlichen Situationen sind auch für die Sicherheit im Straßenverkehr wesentlich. Rollsplitt, Schlaglöcher, Straßenbahnschienen, plötzliche Ausweichmanöver, rutschiger Untergrund und vieles mehr sind für viele RadfahrerInnen ernste Risikofaktoren. Wichtige sicherheitsrelevante Fahrtechniken, wie zum Beispiel eine Vollbremsung, werden im Straßenverkehr nicht erlernt. Dabei sollte gerade dort die Aufmerksamkeit allem anderen gewidmet werden als dem motorischen Vorgang des Radfahrens. Um diese Prozesse auch in Extremsituationen automatisiert abrufen zu können, braucht es eine motorische Kompetenz, die deutlich über diese Anforderungen hinausgeht. Diese erwirbt man am besten beim Mountainbiken.
Darüber hinaus bietet Mountainbiken ideale Möglichkeiten, die Natur und deren Erlebnisvielfalt gemeinschaftlich zu erkunden. Berge und Täler, Flora und Fauna, Sonne und Regen, Anstrengung und Müdigkeit, Gipfelerlebnisse und gemeinsame Lagerfeuer kann man natürlich auch ohne Rad erleben. Doch mit dem Mountainbike macht es noch mehr Spaß!
Die Reise zum Mountainbiken beginnt idealerweise mit einem Laufrad. Damit lernen Kinder von klein auf das richtige Verhalten beim Rollen, wodurch der Umstieg auf das erste echte Fahrrad ein Klacks wird. Das richtige Rad spielt auch in weiterer Folge eine wesentliche Rolle. Nur wenige Hersteller, wie zum Beispiel die österreichische Firma woom, haben sich auf Kinderräder spezialisiert. Sie konstruieren ihre Räder entsprechend der kindlichen Körperproportionen und auch mit einem zum Körpergewicht passenden Gewicht.
Sobald die Kids am Laufrad oder Rad sitzen, gilt es, möglichst kreativ zu sein und das Radfahren in den Alltag und in das kindliche Spielverhalten zu integrieren. Mit ein paar Hütchen, Kreide, Schnüren und all den Gegebenheiten, die wir in der Natur finden, können schnell interessante Strecken entworfen werden. Ganz besonders wertvoll ist es, wenn sich die Kids ihre eigenen Hindernisse bauen und versuchen diese zu bewältigen. Das fördert die Selbsteinschätzung und den Reiz, sich selbst zu fordern.
Auch der eingangs angesprochene Parcours ist bis zum Schulkindalter nur dann interessant, wenn wir auf ihm Lokomotive und Anhänger oder Fangen spielen. Erst später wird der Reiz der Bewegungsaufgabe immer größer, sodass die Kids auch an bestimmten (teils künstlichen) Herausforderungen ihren Spaß haben und sich gegenseitig matchen und pushen. Ab diesem Zeitpunkt macht es dann auch Sinn, von außen mit fahrtechnischen Tipps und Tricks unterstützend zu wirken.
Für tiefere Einblicke in das Thema „Mountainbiken mit Kindern“ und in die Mountainbike-Fahrtechnik verweise ich abschließend gerne auf das Fortbildungsangebot der Naturfreunde.
Text und Fotos: Mag. Peter Schrottmayer, sportlicher Leiter der Naturfreunde-Ausbildung „MTB-KinderbetreuerIn“