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Die Kraft der Gedanken und Gefühle

Neben körperlicher Fitness hilft im Sport auch mentale Stärke - nicht nur beim Erreichen sportlicher Ziele, sondern auch in heiklen Situationen, etwa auf Schi- oder Bergtouren.

Text: Christine Moser, freie Journalistin, in Zusammenarbeit mit dem Sportwissenschafter und Psychotherapeuten Mag. Norbert Meister

 

An einer kniffligen Stelle in einer Kletterwand, auf einem Klettersteig oder an einer ausgesetzten Passage auf einer Bergtour wird rasch klar, dass nicht nur die körperliche Fitness in der Sportausübung zählt. Ein mulmiges Gefühl oder gar Angst kann oft zu Verkrampfungen führen. Bewegungsabläufe, die uns ansonsten vor keinerlei Probleme stellen und automatisiert ablaufen, sind plötzlich ganz und gar nicht mehr selbstverständlich. Die Unsicherheit wirkt sich auf unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unsere Bewegungen aus und kann somit auch schnell zu einem Sicherheitsproblem werden.

Mental stark könnte man in diesem Zusammenhang Personen bezeichnen, die auch bei herausfordernden äußeren Umständen ihre motorischen und geistigen Fähigkeiten abrufen können.

Norbert Meister, Sportwissenschafter und Psychotherapeut, kann auch anhand anderer Beispiele belegen, dass mentale und soziale Einflüsse wichtige Faktoren sind. „Man denke an Gruppensituationen, wie sie im Outdoorsport typisch sind. Wir Menschen sind soziale Wesen, und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist enorm wichtig.“ Ob man nun in einer Gruppe gut eingebettet ist, sich wohlfühlt und den Mitgliedern vertrauen kann oder aber „außerhalb“ steht - auch das ist ein bedeutender Faktor, der Einfluss auf unsere Informationsverarbeitung hat. Norbert Meister: „Ein Beispiel dafür, wie soziale Kräfte unsere Informationsverarbeitung beeinflussen: Manche können sehr gut Karten lesen, doch in einer Drucksituation, wenn etwa andere Gruppenmitglieder schon aufs Weitergehen oder eine Entscheidung drängen, können sie das Kartenbild nicht mehr in die Realität umsetzen.“

 

 

Gruppendynamiken erkennen

Wenn uns soziale Faktoren in eine schlechte Situation bringen, gibt es zum Glück Gegenstrategien, um Informationsaufnahme und -verarbeitung zu unterstützen. Norbert Meister: „Um beim Kartenbeispiel zu bleiben: Am besten entzieht man sich dem sozialen Kräftefeld, indem man ein paar Schritte auf Abstand geht und sich etwa mit erlernten Atemübungen selbst beruhigt. Danach kann man wieder mehr Informationen aus der Karte lesen. So zu handeln wäre eine angemessene Reaktion auf die Situation und ein Zeichen von mentaler Stärke. Die falsche Reaktion wäre, eine Entscheidung ohne angemessene rationale Grundlage zu fällen und zu hoffen, dass schon nichts passieren wird.“

Ein erster hilfreicher Schritt wäre also, sich der sozialen Einflüsse bewusst zu werden. Norbert Meister: „Gruppendynamiken zu erkennen und die Wechselwirkung auf das eigene Verhalten wahrzunehmen ist schon ein großer erster Schritt. Das ist allerdings oft eine herausfordernde Aufgabe. Feedback im Freundeskreis sowie von Kolleginnen und Kollegen kann uns helfen, eigene blinde Flecken aufzudecken. In Gruppen ist Kommunikation gefragt! Situationen, die uns Schwierigkeiten bereiten, sollten immer wieder besprochen werden. In unseren Schulungen an der Bundessportakademie lehren wir auch gruppendynamische Modelle, mit deren Hilfe man erkennen kann, welche Dynamiken in der Gruppe gerade vorherrschen.“

 

 

Mental stark für Sport – und durch Sport

Es gibt eine Reihe von mentalen Übungstechniken für unterschiedliche Situationen im Sport. Ein paar Beispiele stehen im Kasten „Experimentiereinladungen“. Ein Übungsrepertoire, das für alle immer passt, gibt es allerdings nicht. Wollen wir jedoch beispielsweise in herausfordernden Situationen bei uns bleiben, können Atemübungen ein Schlüssel sein. Die Atmung läuft in der Regel unbewusst ab – es sei denn, wir konzentrieren uns darauf. Dann merken wird etwa, dass in Drucksituationen die Atmung flacher wird. Übernimmt man nun bewusst die Kontrolle über die Atmung, kann man sich damit gezielt beruhigen oder auch aktivieren, je nachdem, was die jeweilige Situation gerade erfordert, um die Handlungsfähigkeit zu steigern.

 

Sich ein mentales Übungsgerüst zuzulegen und diese Übungen regelmäßig durchzuführen kann für den Sport sehr hilfreich sein. Sport ist auch ein perfektes Lernumfeld, um uns für mental herausfordernde Alltagssituationen zu rüsten. „Sport in der Natur ist gegen Stress wirksam. Allein die Natur hat schon eine regulierende Wirkung auf uns“, weiß Norbert Meister. „Wenn ich im Klettern die Kompetenz habe, mich in einer Stresssituation zu regulieren und herunterzufahren, kann ich das natürlich auf andere Lebensbereiche transferieren.“ Die Prüfungssituation in der Schule, der polternde Chef oder die Deadline für ein Projekt in der Arbeit: Auch für solche mentale Herausforderungen ist Sport - vor allem Outdoorsport - eine perfekte Lebensschule.

 

Experimentiereinladungen von Norbert Meister

 

Allgemeine Übungsanleitungen für mentale Stärke sind nicht so leicht wie Kraft- oder Koordinationsübungsprogramme zusammenzustellen. Die im Folgenden beschriebenen Beispiele sind zwar nicht auf individuelle Herausforderungen abgestimmt, machen aber vielleicht Lust darauf, sich mit dem einen oder anderen Thema näher zu beschäftigen. Für eine genauere Auseinandersetzung ist es wie in vielen anderen Bereichen sinnvoll, sich an Fachleute (Mediziner*in, Trainer*in, Bergführer*in etc.) zu wenden. Auf sportpsychologie.at sind hochwertige Kontakte für mentale Beratung zu finden.

 

1. Mentale Unterstützung für das Bewegungslernen

Beobachte eine Person, die in der gewünschten Bewegungstechnik schon versiert ist. Achte genau auf den Bewegungsausschnitt, den du bei dir verbessern möchtest. Wenn du die Bewegung beobachtet hast, stellst du sie dir vor deinem inneren Auge noch einmal vor, bevor du sie real ausführst.

Zu fast allen Bewegungen findet man online gute Videos mit korrekter Beschreibung. Auch diese Videos kannst du für dein Mentaltraining zur Verbesserung deiner Bewegungsvorstellung nutzen. Ein nächster Schritt wäre, sich die Bewegungen mit allen Sinnen vorzustellen und das innere Probehandeln auch mit einem Muskelspannungsgefühl, Gelenkswahrnehmungen etc. zu erweitern.

 

2. Aus dem sozialen Feld herausgehen – und mit Distanz noch einmal hinsehen

In Outdoor-Sportgruppen gibt es immer wieder heikle Entscheidungssituationen. Gruppendynamiken machen es oft schwer, auf eigene sicherheitsrelevante Zweifel zu hören. Unser Körpergefühl kann jedoch ein guter Hinweisgeber für heikle Situationen sein. Das Gefühl im Bauch, die hochgezogenen Schultern, die „Stopp!“ signalisieren. Nimmst du einen solchen Hinweis an dir wahr, mach ein paar Schritte aus dem (sozialen) Zentrum der Gruppe heraus und schau aus dieser Perspektive noch einmal auf die Entscheidungssituation. Oft kann man nun die Situation anders wahrnehmen und bessere Entscheidungen treffen.

 

3. Aufmerksamkeit auf den Handlungsplan richten

Unterschiedliche äußere Einflüsse machen es oft schwer, unser Können abzurufen - zum Beispiel in der Situation „Alle schauen mir zu“ mit dem Gedanken „Jetzt muss ich beweisen, wie gut ich es kann!“. Solche Gedanken haben einen starken Einfluss auf unsere Erwartungshaltungen. Wenn ich mit der sozialen Bewertung meiner Aktion beschäftigt bin, lenke ich die Aufmerksamkeit auf Themen, die mit einer guten Sportausübung nicht direkt zu tun haben, zum Beispiel „Hoffentlich bin ich schneller als Karl!“.

 

Lenke ich hingegen die Aufmerksamkeit auf meine Aufgabe, zum Beispiel in einen guten Rhythmus zu kommen und gegen Ende das Lauftempo zu erhöhen, bin ich bei einem Handlungsplan, der direkt mit meiner sportlichen Tätigkeit zu tun hat.

 

Leider gibt es immer wieder Traineraussagen wie „Heute zeigst du es ihnen – es geht um die Ehre!“, die eine Aufmerksamkeitslenkung auf die Stolz-Scham-Achse bringen. Diese innewohnende Statusbedrohung macht es vielen Sportler*innen schwerer, ihre Leistung abzurufen.

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