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Berggenuss statt Höhenangst

Berge! Was für ein Anblick, welche Freude, welcher Genuss! Doch leider nicht für alle: Ziemlich viele Menschen leiden unter der so genannten Höhenangst. Wie man mit Höhenangst besser umgeht und sie sogar regulieren kann, erfährt man im folgenden Artikel.

Biologisch betrachtet ist die Angst vor dem Stürzen – und da genügt bereits eine Sturzgefahr aus ein, zwei Metern Höhe – eine normale und gesunde Angst. Kein Wunder also, wenn bei potentieller Sturzgefahr - und sei sie noch so gering – bei den einen gesunder Respekt, bei anderen unangenehm empfundene Anspannung oder gar Furcht aufkommt. Letzteres vor allem bei jenen, die noch nicht genügend oder bereits schlechte (Berg-)Erfahrungen gesammelt haben. 

Bei der Entstehung der Angst, die jemanden in ausgesetztem alpinem Gelände, auf einem hohen Turm oder Haus befallen kann, spielt ein weiterer, ebenfalls ganz natürlicher Prozess eine maßgebliche Rolle: der Höhenschwindel. Höhenschwindel entsteht, wenn sich in bestimmten Geländeformen, etwa auf ausgesetzten Wegen, Graten oder Gipfeln, keine feststehenden, kontrastreichen Objekte wie Bäume und Felsen im äußeren Sichtfeld einer Person befinden, die einem normalerweise zur Orientierung im Raum dienen. Dann beginnt der Körper zu schwanken, was wiederum – wenngleich in den seltensten Fällen bewusst wahrgenommen - als zusätzliche Bedrohung empfunden werden kann.

 

Wer solche Situationen nicht gewohnt ist oder nicht kennt, und wer bereits unangenehme Erfahrung in den Bergen gemacht hat (dazu gehören auch Erschöpfung, Streit, Schmerzen, Hilflosigkeit, Erinnerungen an gehörte oder in Filmen gesehene Vorkommnisse), reagiert unter Umständen mit Angst: Die Atmung stockt, die Muskulatur verkrampft sich, Körperhaltung und Bewegungsfluss verändern sich, und die Sinne fixieren wie gebannt die Gefahr; Menschen mit Höhenangst blicken daher häufig in die Tiefe, was ihre Angst erst recht verstärkt.

 

Diese körperlichen Auswirkungen von Angst sind nicht zu unterschätzen: Die eingeschränkte Atmung kann eine Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff bewirken, was die Leistungsfähigkeit von Muskulatur und Gehirn beeinträchtigt. Die veränderte Muskelspannung und Körperhaltung verändern Bewegungsfluss sowie Reaktionsvermögen und damit die Trittsicherheit. Und durch den Blick in die Tiefe bekommt das Gehirn Informationen über eine Wegrichtung, in die man gar nicht möchte; aber es berechnet brav die erforderlichen Bewegungen für die gelieferten Informationen. Kein Wunder, dass manche Menschen den Eindruck haben, es ziehe sie wie magisch in die Tiefe.

 

Also, was tun?

Etwas gegen die Angst tun zu wollen ist prinzipiell der falsche Ansatz. Eher geht es darum, mit der Angst umzugehen, sie regulieren und kontrollieren zu lernen. Das ist tatsächlich möglich, braucht aber – wie alles Lernen und Umlernen – Zeit, Geduld, Konsequenz und viele, viele kleine und große schöne Erlebnisse in den Bergen. Und damit diese zunehmend möglich werden, müssen Menschen mit Höhenangst lernen, die Anzeichen der beginnenden Angst rechtzeitig zu bemerken und bewusst zu regulieren: mithilfe der Atmung, der Körperhaltung, der Blicksteuerung und der Steuerung ihrer Aufmerksamkeit auf das, was ihnen beim Berggehen hilft.

 

Wenn Sie lernen möchten, mit Ihrer Höhenangst umzugehen, machen Sie sich einen Plan, der Ihnen dabei hilft, von nun an häufig und regelmäßig auf solche Berge zu gehen, die Ihnen mehr Freude als Angst machen. Trauen Sie sich ruhig etwas zu, aber überschätzen Sie sich nicht: Ihre Ausdauer, Kraft, Gehtechnik und Ausrüstung sollten unbedingt mit den Anforderungen der ausgewählten Touren übereinstimmen. In schätzungsweise 70 % aller Fälle wird die Entstehung von Höhenangst anfangs durch Müdigkeit oder Erschöpfung - also ungenügende Kondition - ausgelöst!

In diesem Plan sollten zudem einige Techniken zur Stress- und Angstkontrolle enthalten sein, die es gilt, regelmäßig und in Geländeformen weit unterhalb Ihrer aktuellen Angstschwelle zu üben und zu festigen. Wenn das Gelände aufgrund Ihrer wachsenden Selbstsicherheit und besseren Kondition herausfordernder wird, können sie diese Techniken bewusst zur Angstregulation einsetzen. Sie werden feststellen, dass die als angenehm empfundenen Zeitspannen am Berg länger werden und die Angstreaktion nicht mehr so heftig und schnell erfolgen wird.

 

Angstregulation

Mit den folgenden mentalen und physiologischen Techniken können Sie Ihre Angst regulieren.

 

Das Pferdchen: Stoßen Sie die Luft beim Ausatmen durch die leicht zusammengepressten Lippen aus, und stellen Sie sich dabei vor, wie ein Pferdchen zu schnauben. Tun Sie das so lange, bis die Schlüsselstelle überwunden ist.

 

Der wilde Bulle: Stellen Sie sich einen wilden Bullen vor, der gerade kurz davor ist, eine Herausforderung auf die Hörner zu nehmen - den Kopf gesenkt, die Atmung hörbar kräftig, voller Angriffslust und Entschlossenheit.

 

Singen (oder pfeifen): Wer singt, atmet. Und wer atmet, ist weniger blockiert. Falls Sie es als unpassend empfinden, laut singend durch die Bergwelt zu spazieren, können Sie auch pfeifen.

 

Dort hinsehen, wo es hingehen soll: Je unheimlicher und bedrohlicher Ihnen das Gelände um sich herum vorkommt, umso konzentrierter müssen Sie Ihren Blick dorthin lenken, wo es hingehen soll. Also: Auf dem Weg zum Gipfel beispielsweise nicht stets in den Abgrund blicken! Sonst müssen Sie womöglich vor lauter Angst die Tour abbrechen.

 

Subvokales Training

Beim subvokalen Training nutzen Sie die Tatsache, dass es fast unmöglich ist, sich bestimmte Gedanken verbieten zu wollen und an zwei Dinge gleichzeitig zu denken. Wenn Sie also beim Bergsteigen an Dinge denken, die Sie in diesem Moment eher blockieren als unterstützen, sagen Sie sich leise vor, was Sie als Nächstes tun sollten, damit ihr Vorhaben optimal verläuft. Und zwar so formuliert, dass Ihr Gehirn und Ihr Körper wissen, was zu tun ist. Sagen Sie sich immer nur einen einzelnen Begriff oder Gedanken vor, zum Beispiel:

 

„Atmen! Atmen! Atmen!“

„Locker gehen, Arme schwingen!

„Blick nach vorne! Schau auf den Weg vor dir!“

„Schritte bewusst und konzentriert!“

 

Lächeln!

Wenn Sie – auch ohne entsprechenden Anlass – Ihr Gesicht zu einem Lächeln oder Lachen verziehen, wird im Gehirn das für Lachen zuständige Areal aktiviert und Ihnen wird nach Lachen oder zumindest nach einer gewissen Heiterkeit zumute sein. Das funktioniert auch, wenn einem gerade nicht danach ist.

 

Text: Petra Müssig, Snowboardweltmeisterin, Trainerin, Coach und Beraterin für Menschen in Bewegung und für solche, die sich wünschen, dass sich etwas bewegt, Buchautorin

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