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Sportklettern: Klettern - Stürzen - Sichern

Philosophie & Pädagogik im Sportklettern oder wie werde ich zum besseren Kletterer ohne gröbere Verletzungen. Die Geister scheiden sich daran, ob Scheitern das große Tabu der Gegenwart (Sennett1) oder das Geheimnis, die Essenz der Zukunftsgesellschaft ist (Horx2). So viel ist aber klar: Zum Klettern gehört es unvermeidbar dazu.

Text von Melanie Müller/Julia Hufnagl/Peter Gebetsberger

 

Stürzen ist nicht Scheitern

Misserfolge gehören zu jedem Sport. Fürs Klettern gilt das in besonderem Maße. Der nächste Schwierigkeitsgrad wird selten onsight erreicht oder aus dem Ärmel geschüttelt. Zumindest nicht, wenn man zwei Hände braucht, um ihn zu zählen. Fehler sind auf diesem Weg aber nicht nur Hindernisse, sondern auch Helfer. Im besten Fall werden wir durch Scheitern gescheiter. Es verweist auf noch ungenutzte Möglichkeiten und Ressourcen, zeigt uns, wohin wir uns entwickeln müssen, um neue Leistungsebenen zu erreichen. Die Schwerkraft ist der beste Lehrer, wenn es darum geht, zu verstehen, wo die eigenen Schwachstellen liegen. Fallen bedeutet daher häufig nicht: Das geht nicht!, sondern Ich verstehe es noch nicht richtig. Was nach vielen Wiederholungen aussieht, ist im besten Fall eine Entwicklung. Noch kraftsparender greifen. Den Fuß höher setzen. Den Körperschwerpunkt etwas verschieben. Den Moment des Clippens besser timen. Wenn wir dann immer noch ins Seil fallen, dann nicht, weil es falsch ist, was wir tun – sondern eben noch nicht richtig genug. Wer das verinnerlicht, kämpft, hadert und flucht vielleicht ein bisschen weniger. Steht sich damit weniger selbst im Weg. So eröffnen Misserfolge plötzlich neue Handlungsmöglichkeiten, kreative Varianten und motivieren sogar. Und solange wir wieder einsteigen, nicht aufgeben, handeln, sind wir nicht völlig gescheitert. Darin liegt ein »Nutzen ungelöster Probleme«3: sie verweisen auf die eigenen ungenutzten Ressourcen.

Versagen ist also für Kletterer weniger gefährlich als Versagensangst. Findet übrigens auch einer, der es wissen muss: Dave MacLeod, Top-Kletterer aus Schottland. Er schreibt in seinem Buch 9 von 10 Kletterern machen die gleichen Fehler: »Misserfolg kann und sollte als ein psychologisches Motivationsmittel geschätzt werden, als eine gute und praktische Quelle des Feedbacks für all jene, die keinen Coach haben, und als eine Art Gewürz, das den Erfolg, wenn er schließlich kommt, umso süßer macht.«4 Für ihn ist die Vorstellung, beim Klettern müsse man Scheitern vermeiden, »der wesentliche Grund dafür, weshalb jemand sein Potenzial nicht voll ausreizen kann«5.

 

Das unterscheidet also die, die irgendwann das Seil dazu benutzen, um die Wäsche aufzuhängen, von denen, die schneller, weiter und höher kommen. Erstere sehen im Scheitern die Grenze, das ärgerliche Ende. Letztere eine Möglichkeit zur Entwicklung – durch Feedback von innen (zum Beispiel durch das eigene kinästhetische Empfinden) und außen (zum Beispiel von anderen Kletterern). Die Verarbeitung und Integration der Rückmeldung ermöglicht schließlich die optimale Abstimmung von Kraftaufwand und Entspannung, Greifen und Steigen, den Durchstieg und den Erfolg. Und wieder lässt sich hier von den Besten lernen: »Wenn ich etwas nicht schaffe, zerbreche ich mir den Kopf über die Gründe meines Scheiterns und versuche Wege zu finden, diese Hindernisse zu überwinden.«6 Danke, Boulder-Ass Daniel Woods.

 

Auch für den Übervater aller Alpinisten, Reinhold Messner, ist das Scheitern ein Lieblingsthema. Der erfolgreichste Bergsteiger überhaupt hat selbst dreizehn Mal auf Achttausendern den Gipfel nicht erreicht. Unermüdlich predigt er, warum der vermeintliche Misserfolg für den Kletterer, den Menschen überhaupt, so wichtig ist: »Beim Herausfinden, warum ich gescheitert bin, kann ich lernen und es nochmals versuchen. Wir Menschen lernen durch Versuch und Irrtum.«7 Sei also sturer als das Scheitern. Denn es beinhaltet immer auch die Möglichkeit des Gelingens. Ganz im Sinne Samuel Becketts: »Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.«8 Richtet man den Fokus auf den Moment, wird jede Erfahrung kostbar.

Um die Philosophie des Stürzens und der damit verbundenen Erweiterung der eigenen Fertigkeiten und Fähigkeiten ohne gröbere Verletzungen umsetzen zu können bedarf es auch einiger Gedanken zum Sichern und den dazu nötigen Sicherungsgeräten.  Den Diskurs zur Verwendung von Sicherungsgeräten könnte man durchaus auch mal wie folgt betrachten

 

Freiheit der praktisch-theoretischen Betrachtung

Text von Julia Hufnagl

 

Wie über Etwas gesprochen wird, konstruiert was es ist. Und weiter noch: Dass über Etwas gesprochen wird erzeugt dessen Wirklichkeit – erzeugt Realitäten.

Lassen wir für die nächsten Minuten die Gedanken darüber schweifen. Es wird nur keine ganze Wahrheit werden.  Aber zumindest Gedankenanstöße, vielleicht sogar Fragen. Also dieses kleine Stück, dass es unter dem oben beschriebenen Phänomen zu verbinden gilt, ist das Sprechen über die Sicherungsgeräte.

Die Gedanken über „Konstruktion von Realität über Sprache“ führen mich zum Sicherungs-Diskurs, zu den vielen Gesprächen die wir diesbezüglich geführt haben. Und bringt mich auf die Idee, das Ganze auch mal unter ganz anderen Aspekten zu betrachten.

 

Im Ernst, da ist doch was komisch. Da kommt doch so ein unbehagliches Gefühl auf, wenn Geräte teilweise verboten werden. Geräte, die ihre Funktion grundsätzlich erfüllen. Ja, darüber hinaus erfüllt es nicht Funktion.

Wir können bestimmte Fragen stellen, deren Antworten durch Statistiken erläutert werden sollen. Wir können eine Detailanalyse, und dessen verinnerlichter Blick bezüglich des Ausfallwinkels des Bremsseils in Bezug auf Handkraft und Durchmesser des Seiles, abrufen.

 

Und dennoch habe ich unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Mit unterschiedlichen Menschen, unterschiedlichen Situationen. Und gerade deshalb werfen sich mir Fragen auf. Fragen, die in keiner Weise die Statistiken und Argumente an sich in Frage stellen. In Frage stellt sich mir aber eine Generalisierung, dessen Grundlage einem technokratischen Zugang den Vortritt gibt. Was bedeutet das? Was bedeutet es für eine Person, die Sichern lernt, jemanden zu sichern - und zu sagen:  „Ich habe dich!“  was so viel bedeutet wie „ Ich halte dich!“. Wow, was für eine Ansage. Da ist jemand der/die mich hält. Auch wenn ich Angst habe. Ganz schön großes Kaliber diese Ansage. Da liegt es ja schon auf der Hand den Vorgang des Ich-halte-Jemanden in den Vordergrund zu stellen. Und genau das passiert. So zum Beispiel beim Kinderklettern oder Klettern im psychosozialem Rahmen. Und wir alle, die sich die Zeit nehmen konnten, in aller Ruhe mit zahlreichen methodischen Zwischenschritten, jemanden das Sichern zu vermitteln, wir alle haben das Eine oder Andere Mal beobachtet: Ich halte dich, bedeutet ich halte dich weil ich auch spüre dass ich fest halte. Und das ist das kleine Detail am Rande: Die Bremshand umschließt das Seil und hält mit der eigenen, gespürten Kraft. Ich bringe meine Fähigkeit/meinen Körper zum Einsatz um zu sichern. Ich spüre dass ich wirke. Und auch ganz funktional betrachtet: Ich lerne im richtigen Moment zu reagieren. Weil ich es in der Hand habe. So nebenbei wird meine Reaktionsfähigkeit perfekt geschult.

 

Randbemerkung: Spannenderweise beziehe ich mich konkret auf die Lehrsituation, und zwar jene die mit ausreichend Zeit versehen ist. Sollten wir neben der Frage nach dem richtigen Gerät nicht auch die Aufmerksamkeit auf die Frage des richtigen Zeiteinsatzes lenken? Zugegeben, schnell-schnell geht es nicht!

Andere Seite: Ich sichere dich und bin mir selbst dabei sicher - und wähle das Gerät, das dich auch in jedem Moment (wenn mir ein „Stein am Schädel“ fällt) immer noch hält. Quasi über meine Existenz hinaus. Auch nicht schlecht!

 

Das Gute ist, wir können Dinge, die sich beim ersten Hinsehen widersprechen, nebeneinander stehen lassen. Wir können Pros und Contras aufzählen und müssen dennoch nicht subtrahieren. Wir können also Dinge auf komplexer Ebene analysieren – und müssen keine Verbote und Eindeutigkeiten produzieren.

 


 

 

FUSSNOTEN

 

1 Richard Sennett, »Der flexible Mensch«, Berlin Verlag, Berlin 2000, S. 159.

2 Matthias Horx, »Schöner scheitern«, in: Ernst Tatzer, Adolf Joksch, Franz Winter (Hg.), »Lob dem Fehler – Störung als Chance«, Krammer Verlag, Wien 2005, S. 115.

3 Dirk Baecker und Alexander Kluge, »Vom Nutzen ungelöster Probleme«, Merve Verlag, Berlin 2003, S. 57.

4 Dave MacLeod, »9 von 10 Kletterern machen die gleichen Fehler«, riva Verlag, München 2012, S. 24.

5 Dave MacLeod, »9 von 10 Kletterern machen die gleichen Fehler«, riva Verlag, München 2012, S. 24.

6 »Climax«, Ausgabe 20, 2014, S. 55.

7 Interview Süddeutsche Zeitung, »Wir lernen nur durch Scheitern«, 17. Mai 2010, www.sueddeutsche.de/leben/reinhold-messner-wir-lernen-nur-durch-scheitern-1.335957

8 Samuel Beckett, »Worstward Ho«, Calder, London 1983, S. 7; Hier zit. nach Rudolf Breuer, »Samuel Beckett – Eine Einführung«, Wilhelm Fink Verlag, München 2005, S. 71 (»Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.«).

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