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Der Braunbär: Kuscheltier oder Bestie?

Die beiden Fotografen Sepp Friedhuber und Günter Guni wollen mit ihrer Arbeit Vorurteilen gegen die in Mitteleuropa schon fast ausgerottete Tierart entgegnen und vor allem Ängste abbauen.

Sepp Friedhuber und Günter Guni waren im Juni und Juli 2012 in Finnisch Karelien, um Braunbären zu fotografieren. Eine Auswahl der fantastischen Aufnahmen ist noch bis Ende Oktober im Nationalpark Kalkalpen zu sehen. Die Ausstellung zeigt, wie Braunbären in der freien Wildbahn leben. 

 

Wir wandern auf einem schmalen Weg durch einen lichten Nadelwald Richtung russische Grenze. Finnisch Karelien ist jene Gegend, wo man die besten Chancen hat, den Europäischen Braunbären in der freien Natur zu fotografieren. Fotografen aus Skandinavien haben immer wieder mit sensationellen Bärenbildern verblüfft.

 

Der Bär ist scheu, er meidet den Menschen, vor allem dort, wo gejagt wird, hat man kaum Chancen, Meister Petz zu begegnen und gute Bilder zu schießen. Nahe der russischen Grenze stehen einige kleine Beobachtungshütten, die um gutes Geld an FotografInnen vermietet werden. Mit Hunde-Pellets hat man die Bären überzeugt, hin und wieder vorbeizuschauen. In Russland leben an die 35.000 Braunbären, und die Grenze ist für die Bären kein Hindernis.

 

Entlang des Weges finden wir Kratzspuren an den Bäumen, Fußabdrücke und Kot – ein untrügliches Zeichen, dass es hier tatsächlich Bären gibt. Unser Guide, der uns zum Versteck begleitet, zeigt plötzlich nach hinten. Im Abstand von 30 Metern trottet ein Bär hinter uns her und verschwindet kurze Zeit später im Wald. Zwei Tage später müssen wir einen Bären vertreiben, um unser Versteck besiedeln zu können. Laut gestikulierend laufen wir auf ihn zu, und der Bär sucht das Weite. Zwischen fünf Uhr nachmittags und sieben Uhr Früh sind wir mit der Kamera im Anschlag auf Bärenjagd. Die nordischen Nächte sind kurz, und dank der digitalen Technik, die Fotografie mit hoher Empfindlichkeit erlaubt, können wir auch noch bei schlechter Lichtsituation fotografieren. Nur zwischen 23 und 3 Uhr gönnen wir uns ein wenig Schlaf auf einer einfachen Pritsche. Es ist Mitte Juni und Paarungszeit. Daher tauchen nur erwachsene und halbwüchsige Tiere auf. Bärinnen mit Jungen meiden den Kontakt zu männlichen Bären, weil sie um ihren Nachwuchs fürchten. Erst im Juli, nach der Paarungszeit, hat man gute Chancen, auch putzige Jungbären zu sehen. Daher komme ich im Juli wieder, um auch Mütter mit Jungtieren auf einen Chip zu bannen.

 

Bärenphobie in Österreich

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war der Braunbär in ganz Europa heimisch, der letzte „Österreicher“ wurde 1842 bei Mariazell zur Strecke gebracht. Hin und wieder tauchten Einwanderer aus Slowenien und Trentino auf, denen allerdings, dank der Jägerschaft, nur ein kurzes Leben beschert war. Als 1972 der berühmte Ötscherbär aus Slowenien einwanderte, begann ein langwieriger, kontroversieller Diskussionsprozess über die Wiedereinbürgerung von Bären. Dabei zeigte sich schon, wie schwierig es ist, Vorurteile zu überwinden. Offenbar haben wir in Österreich verlernt, mit Wildtieren, die als gefährlich gelten, zu leben. Schon die Bezeichnung „Raubtier“ ist mehr als fragwürdig und stammt von der Gesinnung, dass sich der Mensch als einzig legitimer Nutzer und Ausbeuter der Natur fühlt. Wenn ein Bär oder Luchs ein Reh erbeutet, hat er quasi dem Jäger oder Waldbesitzer den nur ihm zustehenden Rehbraten geraubt. Der göttliche Auftrag „Macht euch die Erde untertan!“ hat für die natürlichen Gleichgewichtszustände in der Natur fatale Folgen; er legitimierte den Menschen in unserem Kulturkreis, die sogenannten Räuber gnadenlos zu beseitigen. Somit wurden in Mitteleuropa die meisten Raubtiere wie Bär, Luchs und Wolf ausgerottet. Es liegt mir fern, den lieben Gott zu belehren, aber vielleicht hätte sich die Menschheit mit dem Auftrag „Passt mir auf meine Schöpfung auf!“ stärker verpflichtet gefühlt, Tierarten vor dem Aussterben zu bewahren.

Nach vielen Diskussionen wurde 1989 im Ötscher-Gebiet ein aus Kroatien eingeführtes Weibchen ausgesiedelt, das 1991 drei Jungen zur Welt brachte. Die Presse hat euphorisch berichtet, und die herzigen Bären wurden zu Lieblingen der Nation. Weitere Aussiedlungen folgten. Als sich die ersten Bären an Schafen und Bienenhütten vergriffen, kippte die Stimmung der lokalen Bevölkerung und der Begriff des Problembären wurde geboren.

 

1994 sorgte der „Problembär Nurmi“ für hitzige und groteske Diskussionen. Nurmi kannte im Gegensatz zu den übrigen Artgenossen keine Scheu vor Menschen, und schlau wie er war, suchte er sein Futter in der Nähe von Bauernhöfen und riss auch einige Schafe, die sich als überraschend leichte Beute präsentierten. Angst und Schrecken machten sich breit, und aus dem Kuscheltier, das uns als Teddybär durch die frühe Kindheit begleitet, wurde plötzlich ein blutrünstiger Mörder. Tageszeitungen, die wenige Jahre zuvor die Seiten mit den Bildern der possierlichen Bärenjungen gefüllt hatten, machten plötzlich Stimmung gegen Meister Petz, die kuriose Blüten trieb: Kinder durften nicht mehr ins Freie, angeblich hatte der Tourismus im bärenverseuchten Mariazellerland einen Rückgang von 10 % der Nächtigungen, während bärenfreie Wandergebiete angeblich stabil blieben. In Oberösterreich wurde sogar der Einsatz des Bundesheeres gefordert. Jörg Haider erkannte die Gunst der Stunde, versuchte sich als der große Tierfreund darzustellen und bot Nurmi Exil im Bärental.

 

Am 11. Oktober 1994 ereilte Nurmi im oberösterreichischen Almtal das tragische Schicksal der meisten österreichischen Bären: Er lief, nachdem er in „krimineller“ Absicht die Zuckerrüben einer Wildfütterung „geraubt“ hatte und seinem Namen als Raubtier gerecht wurde, einem wackeren Weidmann vor die Flinte, der mit einem gezielten Schuss aus 15 Metern Entfernung Österreich vor Angst und Schrecken befreite. Die Bevölkerung in den oberösterreichischen Voralpen konnte wieder in Ruhe im Garten arbeiten, Schwammerl suchen und vor allem ruhig schlafen – ohne Angst um ihre Kinder. Nun ruht der böse Bär friedlich und ausgestopft im Jagdmuseum Hohenbrunn bei St. Florian.

Ein ähnliches Schicksal widerfuhr Bruno alias JJ1 am 26. Juni 2006 in Bayern. Aus dem Trentino eingewandert, hielt er sich längere Zeit im Grenzgebiet zwischen Tirol und Bayern auf, und auch er betrachtete einige Schafe als willkommene, leichte Beute.

 

Wochenlang scheiterten die Versuche, JJ1 in eine Falle zu locken. Finnische Bärenjäger wurden mit der Suche beauftragt; Betäubungsgewehre versagten jedoch wegen der dicken Fettschicht des Bären. Der Einsatz kostete 32.000 Euro. Die Länder Tirol und Bayern teilten sich die Kosten. Am 23. Juni wurde die Abschussgenehmigung von Ende Mai, die man wegen der Proteste am 2. Juni 2006 zurückgezogen hatte, wieder in Kraft gesetzt. Nur drei Tage später traf JJ1 auf der Küpflalm in Bayern eine tödliche Kugel. Der Abschuss wurde vom Regierungsbezirk Oberbayern als „Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse“ gerechtfertigt.

 

Inzwischen sind aus den nördlichen Kalkalpen 35 Bären verschwunden. 31 Jungtiere wurden geboren und kamen großteils auf geheimnisvolle Weise ums Leben, so manches Bärenfell wird wohl in einem Jägerstüberl ein Platzerl gefunden haben. Das Fell kann ja auch aus Rumänien stammen. Dort ist Bärenjagd noch möglich. Für das einwöchige Abenteuer muss man zwischen 6000 und 10.000 Euro hinblättern. In Kärnten halten sich derzeit laut WWF noch fünf bis acht Bären auf.

 

Friedliches Zusammenleben ist möglich

In den dicht bewaldeten Abhängen der Karpaten leben auf der dreifachen Fläche von Österreich an die 5000 bis 6000 Bären. Selbst in der Slowakei mit einer Fläche von 49.000 km2, das sind zwei Drittel jener Österreichs, haben mehr als 800 Bären ihren Lebensraum. Slowenien, so groß wie Niederösterreich, beheimatet sogar ca. 700 Bären, ohne größere Probleme zwischen Mensch und Tier.

 

Lediglich in Rumänien mit der größten Bärendichte Europas gibt es immer wieder zum Teil auch tödliche Zwischenfälle, etwa im Umkreis von Kronstadt in Siebenbürgen. Die Ursache ist meist menschliches Fehlverhalten. In den Jahren der Ceauşescu-Diktatur war Bärenjagd ein Privileg der Partei- und Staatsbonzen und so wurden die Bärenbestände künstlich hoch gehalten. Die Bären kamen bis in die Stadt, um sich an Müllcontainern zu bedienen. In Finnland, mit einem Bestand von ca. 1000 Exemplaren, gab es in den letzten hundert Jahren keinen Vorfall, bei dem Menschen zu Schaden gekommen sind.

 

Doch gerade in Österreich ist die Reaktion auf Wildtiere und ihre Gefährlichkeit eigenartig, weil wir nie gelernt haben, mit ihnen zu leben, und nicht akzeptieren, dass sie Bestandteil der Natur sind.

 

Was die Gefährdung betrifft, ist es geradezu grotesk, dass beim Auftauchen von Nurmi nach einem Bundesheereinsatz gerufen wurde. Die Kinder durften nicht mehr aus dem Haus und Touristen mieden das Mariazellerland, bis ein Schuss den Bären zur Strecke brachte - er hatte keinem Menschen etwas zuleide getan.

 

Warum kommt niemand auf die Idee, die Ausrottung von Schäferhunden, Rottweilern und Pit Bull Terriern zu fordern? Immerhin werden in Österreich jährlich 5900 Menschen von Hunden krankenhausreif gebissen, ein Fünftel davon sind Kinder, immer wieder kommt es auch zu tödlichen Verletzungen.

 

Abschließend behaupte ich kühn: Hätten wir, wie in Finnland, 1000 Bären und 100 davon dürften jährlich legal abgeschossen werden, würde die Jägerschaft und ihre Lobby alles daran setzen, diesen Bestand zu rechtfertigen und zu erhalten.

 

 

Text und Fotos: Prof Sepp Friedhuber


Den gesamten Artikel finden Sie im Naturfreund 4/2012

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