Die Alpen sind eines der Biodiversitätszentren weltweit. Sie bedecken zwar nur 2 Prozent der Fläche Europas, auf der jedoch 4530 Blüten- und Farnpflanzen- sowie1100 Moos- und 2500 Flechtenarten gedeihen − das sind rund 40 Prozent der europäischen Pflanzenvielfalt! Darüber hinaus gibt es in den Alpen mehrere Tausend Pilz- und mindestens 30.000 Tierarten. Doch der Alpenraum gerät immer mehr unter Druck: Immer größer werdende Touristenströme zu jeder Jahreszeit, Schigebietserschließungen und -erweiterungen, zunehmende Verkehrsbelastung und Zersiedelung, Bauprojekte der Energiewirtschaft und der immer rasanter werdende Klimawandel setzen den alpinen Regionen heftig zu.
Nur noch 7 Prozent der Fläche Österreichs sind frei von technischer Infrastruktur. Rund zwei Drittel dieser Freiräume liegen im alpinen Hochgebirge, und nicht einmal die Hälfte dieser letzten naturnahen Gebiete ist vor belastender Verbauung geschützt. Die Naturfreunde Österreich kämpfen daher gemeinsam mit dem Österreichischen Alpenverein und dem WWF im Rahmen der Allianz für die Seele der Alpen für eine nachhaltige Alpenpolitik und gegen großtechnische Erschließungen in den letzten alpinen Freiräumen. Dazu zählen auch Infrastrukturbauten für die Energiegewinnung, also auch Windkraftanlagen.
Für die Fundamente solcher Anlagen braucht man unzählige Tonnen Beton und Bewehrungseisen, die zum jeweiligen Standort geliefert werden müssen. Zu jeder Windindustrieanlage muss daher eine für Schwertransporter taugliche Zufahrtsstraße führen, die meist erst gebaut werden muss. Außerdem müssen Stromleitungen errichtet werden, in denen der erzeugte Strom ins nächstgelegene Umspannwerk fließen kann - alles massive Landschaftseingriffe.
Doch nicht nur die Errichtung von Windkraftanlagen schädigt die Umwelt. Sind Windräder erst einmal in Betrieb, bedeuten sie für die Tierwelt, vor allem für Vögel, eine große Gefahrenquelle (direkter Anprall, Lebensraumzerschneidung sowie Vergrämung wegen Lärm, Schlagschatten etc.).
Dazu kommt, dass weithin sichtbare Windkraftanlagen Natur- und Kulturlandschaften „verschandeln“. Intakte Landschaften sind jedoch für den Tourismus und somit für die Bevölkerung im Alpenraum lebenswichtig. Die Naturfreunde sprechen sich daher gegen Windkraftanlagen in alpintouristisch bedeutenden Gebieten aus. Es sollen nur dort Windkraftwerke entstehen, wo es bereits eine entsprechende Infrastruktur gibt und der Bau ohne wesentlichen Schaden für die Landschaft erfolgen kann.
Dr. Reinhard Gschöpf, Geschäftsführer der CIPRA* Österreich: „Energiewende ohne Rücksicht auf Verluste bei anderen Schutzgütern ist so undenkbar wie etwa Klimaschutz auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat. Der Zweck heiligt auch hier nicht jedes Mittel! Die Energiewende muss sowohl sozial- als auch natur- und alpenverträglich gestaltet sein; ein entsprechender Interessenausgleich ist sicherzustellen.“
Will man den Klimawandel bremsen, muss man die Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Erdöl bei der Energiegewinnung stoppen und auf die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Fotovoltaik sowie Wasser- und Windkraft umstellen. Diese müssen in Zukunft die Energie für alle industriellen Prozesse, für den Verkehr, für Heizen und Klimatisieren sowie für die Stromversorgung liefern. „Die Zukunft wird daher in hohem Maße elektrisch“, erläutert Energieexperte Mag. Manfred Pils, Präsident der Naturfreunde Internationale.
Die beiden Hauptprobleme der Nutzung erneuerbarer Energiequellen sind die Abhängigkeit von täglichen und saisonalen Wetterschwankungen sowie die Tatsache, dass deren Erzeugung immer dezentraler wird, sich also immer weiter von den Bevölkerungszentren weg verlagert. Man müsste also Strom speichern können. Manfred Pils: „Die derzeit angedachte Lösung ist die Produktion von Wasserstoff, der entweder selbst direkt durch Verbrennung in einer Brennstoffzelle in Strom oder durch Anreicherung mit ohnehin zu viel vorhandenem Kohlendioxid in künstliches Methan umgewandelt wird – also in künstliches Gas, das durch Gasleitungen verteilt bzw. in Gasspeichern gespeichert werden kann.“ Im österreichischen Gassystem könnte etwa der Energiebedarf für ein Jahr gespeichert werden. Der Windstrom an den Küsten der Nordsee könnte in Wasserstoff/künstliches Gas umgewandelt werden und überall, wo es einen Gasanschluss in Europa gibt, entnommen und in Strom zurückverwandelt werden − ohne zusätzliche Leitungen. Somit würde man das Gasnetz, das nach der Energiewende ja nicht mehr gebraucht wird, einem sinnvollen neuen Zweck zuführen. Aus ökonomischer Sicht habe es allerdings wenig Sinn, die Gewinnung erneuerbarer Energien wie der Windkraft in abgelegenen Regionen ohne Strom- und Gasinfrastruktur zu betreiben, auch wenn die Windausbeute in höheren Regionen und im Gebirge wie in den Alpen durchschnittlich größer als am flachen Land ist (wobei sie in Küstennähe unvergleichlich größer und stetiger ist). Manfred Pils: „In diesem Fall lassen sich also ausnahmsweise die Ziele der Ökonomie mit jenen der Ökologie vereinen.“
Text: Karin Astelbauer-Unger
Windkraft in alpinen Regionen
Das kürzlich erschienene Windkraft-Factsheet der Naturfreunde möchte mit Beiträgen diverser Experten aus den Bereichen Energie sowie Alpen-, Natur- und Umweltschutz eine differenzierte Betrachtung ermöglichen. Es liefert viele Hintergrundinformationen sowie Beispiele für Auswirkungen von Windkraftprojekten und spricht eine große Bandbreite von Problemstellungen an.