Die Vorstellung, dass Österreichs östlichstes Bundesland nur aus dem Neusiedler See und einer flachen, strukturlosen Steppenlandschaft besteht, ist leider weit verbreitet. So war auch meine Sichtweise, die sich erst durch den unerwarteten Wechsels meines Wohnsitzes von Wien in eine kleine mittelburgenländische Ortschaft zwischen dem Ödenburger und Landseer Gebirge geändert hat. Trotz meiner Vorliebe für lange Alpintouren genoss ich hier die Wanderungen durch die gemäßigten Gebirge mit ihren sanften Anstiegen. Eines jedoch trübte meine Begeisterung. Ich konnte so gut wie keine alten und naturnahen Waldbestände finden. Bis auf wenige kleinräumige Ausnahmen handelt es sich bei knapp 90 % der burgenländischen Wälder um Wirtschaftswälder. Trotzdem ist die Qualität der Wälder vergleichsweise gut. 20 % gelten als sehr naturnah, 40 % als nur mäßig forstlich verändert. Der Laubholzanteil ist mit 62 % relativ hoch. Heute ist rund ein Drittel des Burgenlandes bewaldet.
Doch diese anfänglichen Enttäuschungen steigerten nur meine Motivation, die schönsten und ursprünglichsten Naturlebensräume dieses Bundeslandes zu finden. Sehr hilfreich war dabei meine Tätigkeit für den Naturschutzbund Burgenland. Im Zuge diverser Projekte, Recherchearbeiten und Gespräche mit Kollegen fand ich schließlich jede Menge naturnaher, bezaubernder Landschaften wie dichte Wälder mit steilen Gräben und Schluchten, Flachmoore, Feuchtwiesen und unregulierte Flüsse mit senkrechten Abbruchkanten und flachen Kiesbänken. Hier müssen wir uns bei allen Menschen bedanken, die in der Vergangenheit den Weitblick und Mut hatten, sich für bedrohte Landschaften, Tier- und Pflanzenarten und deren Unterschutzstellung einzusetzen.
Zu den bedeutendsten burgenländischen Schutzgebieten gehören der Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel, 29 Naturschutzgebiete, acht geschützte Lebensräume (fünf in „Warteschlange“), drei Feuchtgebiete nach der Ramsar-Konvention und 140 Naturdenkmäler. Daneben gibt es noch sechs Naturparke, 16 Natura-2000-Gebiete und acht Landschaftsschutzgebiete. Man sollte aber stets bedenken, dass alleine die Notwendigkeit, Schutzgebiete errichten zu müssen, für jede Gesellschaft ein Armutszeugnis darstellt.
Neben den amtlichen Schutzgebieten gibt es noch viele in Privatbesitz befindliche, naturschutzfachlich äußerst wertvolle Naturlebensräume. Um diese ausfindig zu machen, bedarf es jedoch gründlicher Recherchen und guter Kontakten zur lokalen Naturschutzszene.
Im Nordburgenland sind vor allem die Steppen- oder Trockenrasen zu erwähnen. Diese Gras- und Kräuterbestände, die im Gegensatz zu den kältebedingten Steppen Osteuropas und Asiens bei uns von Natur aus nur auf sehr trockenen, nährstoffarmen und für das Wachstum von Bäumen zu seichtgründigen Böden vorkommen, finden sich üblicherweise an steinigen Hügelkuppen und Südhängen. Sie bilden einen der artenreichsten Lebensräume, sind jedoch durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft massiv gefährdet und bis auf wenige Ausnahmen nur noch auf kleinen Flächen vertreten.
Sehr schöne Trockenlebensräume gibt es an den südöstlichen Abhängen des Leithagebirges. Ein besonderes Erlebnis ist das Naturschutzgebiet Thenauriegel bei Breitenbrunn. Mitte April verwandeln die die stark gefährdete Zwergiris, die Schwarze Küchenschelle und das Frühlings-Adonisröschen dieses Gebiet in ein gelb-violettes Blütenmeer.
Fast schon eine Berühmtheit sind die beiden zwischen dem Leithagebirge und dem Neusiedler See gelegenen Trockenrasenhügeln Jungerberg und Hackelsberg. Deren silikatischer Untergrund lässt die Vegetation von der umgebenden abweichen, wodurch sich eine Vielzahl von Raritäten erhalten konnte, wie das Steppen-Stiefmütterchen, der Steppen-Mannsschild, die Rapunzel-Glockenblume, die Ungarn-Hundszunge oder der sehr seltene submediterrane Steifhalm. Wegen der tollen Aussicht auf den Neusiedler See kommen hier auch botanisch weniger Versierte auf ihre Rechnung. Naturschutzfachlich und ästhetisch ebenfalls interessant sind die Offenstandorte am Goldberg bei Oslip, das Weiße Kreuz bei St. Georgen, der Zeilerberg bei Jois, die Siegendorfer Heide bei Siegendorf und der Marzer Kogel bei Marz.
Richtung Südburgenland nehmen die Trockenrasen aufgrund der höheren Niederschläge ab. Bedeutende und ebenfalls mit einer wunderbaren Aussicht gesegnete Kleinode finden sich noch an den südlichen Ausläufern des Günser Gebirges, vor allem im Raum Rechnitz (Gmerk-Gatscher, Galgenhügel, Friedhofsareal), Markt Neuhodis (Weinberg) und Goberling.
Feuchtwiesen sind stark vom Grundwasser beeinflusste und nach größeren Niederschlägen kurzzeitig überschwemmte Wiesen, die vorwiegend entlang von Bach- und Flussniederungen, in natürlichen Senken und in der Nähe von Stillgewässern liegen. Zu den bedeutendsten Vorkommen im Burgenland gehören die Zitzmannsdorfer Wiesen zwischen den Gemeinden Weiden am See und Podersdorf. Sie sind Teil des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel und beherbergen botanische Kostbarkeiten wie Rau-Tragant, Spinnen-Ragwurz, Sumpf-Knabenkraut und Schlitzblatt-Wermut.
Schöne Feuchtwiesen findet man weiters in den Leitha-Niederungen zwischen Gattendorf und Deutsch Jahrndorf und im Naturschutzgebiet Frauenwiesen bei Leithaprodersdorf, das mit einem größeren Vorkommen von Trollblumen fasziniert; Trollblumen sind Eiszeitrelikte, die heute jedoch durch die systematische Zerstörung der Feuchtwiesen stark gefährdet sind.
Ein Eldorado für Freunde von Feuchtwiesen ist das Südburgenland. Allen voran seien die ausgedehnten Stremtalwiesen im Raum Güssing mit ihren bunten Beständen von Sibirischen und Sumpf-Schwertlilien sowie Kuckucks-Lichtnelken genannt. Die wohl bekannteste burgenländische Pflanzenrarität ist die Schachblume. Sie gedeiht nur noch an ganz wenigen Stellen in den Gemeinden Hagensdorf und Luising. Das größte in Österreich bekannte Vorkommen der attraktiven, leuchtend gelben Taglilie ist im Raum Großmürbisch zu bewundern.
Fließgewässer beeinflussen die umgebende Landschaft weit über ihren eigentlichen Strömungsbereich hinaus und schaffen die Lebensgrundlage für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Aber nur, wenn sie frei fließen dürfen, also nicht durch Laufkraftwerke und durchgängige Regulierungen zerstört werden. Denn trotz aller Beteuerungen seitens der Energieerzeuger, ist es (bis jetzt) nicht möglich, Flusskraftwerke so zu gestalten, dass sie zu keiner Beeinträchtigung der Dynamik und der Ökologie eines Flusses führen, weshalb man in diesem Fall nicht von „grüner“ Energie sprechen sollte. Mittlerweile hat man die Langzeitschäden von Flussregulierungen erkannt und versucht mit Renaturierungsarbeiten den Flüssen, zumindest abschnittsweise, ihre natürliche Dynamik zurückzugeben.
Ein Musterbeispiel für einen hydrologisch und flussmorphologisch intakten Fluss ist die Lafnitz. Über drei Viertel ihrer Länge gelten als natürlich bis naturnah. Aber auch die Leitha darf noch über größere Strecken ihren Lauf selbst gestalten. Die Folge sind starke Mäander mit senkrechten Abrisskanten (besonders wichtig für Eisvögel und Uferschwalben) und Flachufern (wichtig für Jungfische).
Einen landschaftlich beeindruckenden und für das Burgenland unerwarteten Abschnitt durchströmt die Pinka im burgenländisch-ungarischen Grenzgebiet bei Hannersdorf/Burg: ein naturbelassenes, schluchtartiges Durchbruchstal mit trocken-warmen Eichenwaldhängen, Felsabbrüchen und einem naturschutzfachlich bedeutenden primären Felstrockenrasen.
In den letzten Jahren ist der Druck der Forstwirtschaft auf die Wälder ungeheuer groß geworden. Alte Bäume und die für die Stabilität eines Waldes so wichtigen Totbäume, inklusive ihrer vielfältigen Abbaustadien, werden immer seltener. Leider steckt in den Köpfen vieler WaldbesitzerInnen noch immer die längst überholte Ansicht, dass alte und tote Bäume entfernt gehören. Zwar gibt es seitens des Bundes sowie der burgenländischen Landesregierung Förderprogramme zur Außernutzungsstellung von Wäldern und Einzelbäumen, doch oft fehlt das Interesse der WaldbesitzerInnen.
Burgenlandweit wurden bisher vierzehn Waldparzellen mit einer Gesamtfläche von 204 Hektar in ein österreichweites Naturwaldreservate-Programm aufgenommen (weitere sind geplant). Seitens der burgenländischen Landesregierung wurden über 250 Hektar Wald aus der Nutzung genommen (ein entsprechendes Projekt läuft noch).
Extensiv bewirtschaftete beziehungsweise aus der Nutzung genommene Waldbestände finden sich heute fast nur noch in Berggebieten (vorwiegend auf flachgründigen, nährstoffarmen und damit ertragsarmen Rücken und Kuppen), in Auwaldresten entlang von Flüssen und in steileren Gräben. Ein Beispiel dafür ist der verkrüppelte „Märchen“-Eichenwald am Burgstallberg bei Steinberg-Dörfl; interessante Auwaldreste gibt es im Wulkadelta bei Schützen am Gebirge sowie in ein paar kleineren Parzellen im burgenländisch-ungarischen Grenzgebiet entlang der Raab, der Strem und vor allem entlang der nicht regulierten Lafnitz.
Zur groben Orientierung für Burgenland-Neulinge lässt sich sagen: Wer weite und offene Landschaften sucht, kommt ins Nordburgenland. Wer Abgeschiedenheit und Ruhe, natürliche und touristisch wenig erschlossene Landschaften bevorzugt, wird im Mittel- und Südburgenland fündig werden, beispielsweise südlich von Jennersdorf im Dreiländereck Österreich - Ungarn - Slowenien.
Text und Fotos: Manfred Fiala, Biologe, Fotograf, Mitarbeiter beim Naturschutzbund Burgenland, Ranger im Nationalpark Donauauen