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Im Nationalpark Gesäuse werden natürliche Prozesse wie Lawinen, Windwurf oder Hochwasser zugelassen. Auf drei Viertel der Fläche kann sich die Natur frei entwickeln.

Nationalpark Gesäuse: Im Wandel der Wildniss

Im seit 20 Jahren bestehenden Nationalpark Gesäuse in der Steiermark sieht es zunehmend wilder aus, weil hier die Natur Natur sein darf. Die Veränderungen hin zur Wildnis werden ständig beobachtet und dokumentiert.

Text: Barbara Bock, Magdalena Kaltenbrunner und Alexander Maringer, Nationalpark Gesäuse

 

Wälder erscheinen uns Menschen als etwas Stetes, das sich über die Jahre kaum verändert. Umso erstaunlicher ist es, dass man im vor 20 Jahren gegründeten Nationalpark Gesäuse bereits deutliche Veränderungen im Waldbild erkennen kann. Wind, Hitze und Borkenkäfer haben eine Verjüngungskur eingeleitet: In die ehemaligen Fichtenforste mischt sich nun mehr Laubholz. Außerdem verbleibt im Nationalpark-Wald abgestorbenes Holz, da der Verzicht auf Nutzung ein wesentlicher Baustein der Nationalpark-Philosophie ist. Totholz ist für zahlreiche Lebewesen ein wichtiger Brut-, Nahrungs- und Lebensraum. Viele Totholzbewohner sind hochspezialisiert und auf bestimmte Totholzarten angewiesen - auf stehendes oder liegendes, auf dickes oder dünnes, auf besonntes, feuchtes oder beschattetes Totholz, mit oder ohne Rinde.

 

Veränderungen an Gewässern und Felsen

Viel rascher als im Wald laufen dank der Dynamik des Wassers Veränderungen an Gewässern ab. Tiere und Pflanzen haben sich gut daran angepasst. Für sie wird es vor allem dann problematisch, wenn dieser Antrieb zum Stillstand gebracht wird. Schotterbänke, die nicht mehr von Hochwässern umgelagert werden und zuwachsen, eingetiefte Flussbetten und Auenlandschaften, die den Anschluss an den Wasserkörper dauerhaft verlieren, sind für Schotterbank-Bewohner kein geeigneter Lebensraum mehr. Darum werden im Nationalpark Gesäuse harte Verbauungen und starke Einengungen entfernt, damit die enorme Kraft des Wassers wieder wirken kann - mit Erfolg: Auf einer neu entstandenen Schotterinsel brütete 2022 zum ersten Mal ein Flussuferläuferpaar, in der wieder mit Wasser gefüllten Lettmair-Au tummeln sich Biber.

 

Ein unaufhörlicher Prozess nagt auch an den mächtigen Felsen der Hochtorgruppe, des Buchsteinmassivs und der Reichensteingruppe. Von jedem Quadratmeter bröckeln pro Jahr 2,5 kg Gestein ab. Vor allem bei Tauwetter im Frühjahr stürzen die vom Frost gesprengten Steine die Wände und Hänge hinunter. Das können kleine Steinschläge, aber auch Felsstürze mit Hunderten Kubikmetern Fels sein. Unter den großen Felswänden im Gesäuse sammelt sich daher einiges an Material an und bildet ausgedehnte Schuttströme, die durch unzählige kleine und große Rinnen ins Tal gelangen. Gebildet werden sie vor allem durch den brüchigen Dolomitsockel der Berge. In diesem trockenen, oft stark besonnten Lebensraum, der ständig in Bewegung ist und bei Starkregenereignissen zu einem reißenden Wildbach werden kann, gedeihen trotz der immerwährenden Gefahr, verschüttet, zerquetscht oder entwurzelt zu werden, eine Reihe von Tier- und Pflanzenarten. Unbeeindruckt durchwandert etwa das Alpen-Leinkraut mit seinen Kriechtrieben den Schutt, der endemische Nordost-Alpen-Mohn verankert sich mit seiner kräftigen Pfahlwurzel im Boden und bleibt standhaft. Eine für solche Schotterflächen sehr charakteristische Tierart ist der Kurzflügelkäfer Stenus asphaltinus, der sich mit seinem schlanken und biegsamen Körper Wege durch das unterirdische Lückensystem der Schutt-Lebensräume sucht.

 

Biodiversitätshotspot Lawinenrinnen

Seit jeher wild sind im Gesäuse die Winter. Die 1924 errichtete Lawinenbeobachtungshütte zeugt davon, dass in vergangenen Zeiten die Bahnstrecke in den Wintermonaten durch Lawinen stark beeinträchtigt wurde. Die Lawinenstriche ziehen sich von den schneeverwehten Gipfeln bis ins Tal und enden nach mehr als 1000 Höhenmetern vielfach erst im Flussbett der Enns. Im Rahmen zahlreicher Untersuchungen wurde in Lawinenrinnen ein extremer Artenreichtum festgestellt. Diese südexponierten, unbewaldeten Rinnen sind im Sommer besonders wärmebegünstigt und damit ein Paradies für sonnenliebende Pflanzen wie den Gemeinen Odermenning sowie für Schmetterlinge und Heuschrecken. Alleine im Kalktal wurden 732 Schmetterlingsarten nachgewiesen, darunter einige mediterrane Wanderfalter. Diese Zahl verdanken wir dem Forscher Heinz Habeler, der mit viel Geduld über Jahrzehnte die Falter dokumentiert hat.

 

Der Nationalpark Gesäuse ist von Alltagshektik und Massentourismus verschont. Auf 80 km Wanderwegen kann man seine großartigen Landschaften und enorme Artenvielfalt kennenlernen und genießen.

Buchtipp

„(Un-)Ordnung in der Natur - der Wandel zur Wildnis“ ist der Titel von Band 16 der „Schriften des Nationalparks Gesäuse“, 24,90 €; die Publikation beleuchtet u. a. anhand von Beispielen aus dem Nationalpark Gesäuse bedeutende Prozesse in der Wildnis und ist in den Verkaufsstellen Admont und Gstatterboden erhältlich.

Bestellungen: nationalpark-gesaeuse.at/shop

Buchsteinhaus (1.571 m)

Das Buchsteinhaus der Naturfreunde Bad Ischl liegt auf dem Weg zur Besteigung des Großen Buchsteins (2.224 m) und der St. Gallener Spitze (2144 m) und ist von Mitte Mai bis 26. Oktober (je nach Schneelage) täglich geöffnet.

 

Es empfiehlt sich, im Buchsteinhaus zu nächtigen. Es steht laut einer Studie der Universität für Bodenkultur, welche die Naturfreunde in Auftrag gegeben haben, in einem besonders licht- und lärmarmen Gebiet. Hier kann man also erholsame Ruhe finden und sich am Sternenhimmel erfreuen. Infofolder mit Sternkarten liegen in der Hütte auf.

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