www.naturfreunde.at

Was geht mich biologische Vielfalt an?

Wir erleben derzeit das größte Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit. Doch diesmal sind nicht Naturkatastrophen, sondern wir Menschen die Ursache. Der rasante Artenverlust macht auch vor Österreich nicht halt.

 

Text: DI Gerald Plattner, Umweltreferent der Naturfreunde Österreich

 

Hast du dich schon gefragt, warum im Sommer in der Dämmerung nur mehr so wenige Insekten unterwegs und am Morgen so wenige Vögel zu hören sind? Das vom Menschen verursachte globale Artensterben, das von der stetig voranschreitenden Klimaerwärmung verstärkt wird, geht still und leise vor sich. Doch seine Ausmaße sind erschreckend, auch in Österreich. Zur Illustration einige Fakten: Österreich hat in den vergangenen 30 Jahren rund 70 Prozent seiner Wirbeltierbestände (Amphibien, Fische, Säuger, Reptilien und Vögel) eingebüßt, der Bestand fliegender Insekten hat um ca. 76 Prozent abgenommen. An die 50 Prozent der Tagfalter sind in ihrer Existenz bedroht. Jede dritte Tier- und Pflanzenart steht auf der Roten Liste. Fast die Hälfte aller Pilze in Österreich ist in irgendeiner Weise (stark) beeinträchtigt, ein Drittel steht auf der Roten Liste. Dasselbe Schicksal erleiden auch Flechten und Moose. 59,4 Prozent der Biotoptypen sind als gefährdet eingestuft.

 

Pro Tag sterben weltweit ca. 150 Arten aus

Dem im Herbst 2020 erschienenen Bericht „State of Nature in the EU“ der Europäischen Umweltagentur zufolge liegt Österreich bezüglich des Erhaltungszustands von EU-geschützten Arten an vorletzter Stelle: 83 Prozent der in Österreich bewerteten Arten weisen einen mangelhaften bis schlechten Zustand auf. Auch 79 Prozent der Lebensräume befinden sich in keinem guten Zustand. Die Ursachen sind die Übernutzung und Vergiftung der Natur sowie die ungezügelte Lebensraumzerschneidung und -vernichtung etwa durch Bodenversiegelung, die in Österreich unglaubliche 13 Hektar pro Tag beträgt. Österreich sei in puncto Biodiversität kein Musterland, sondern ein Nachzügler, betont der Umweltdachverband. Je weniger naturnahe Landschaften es gibt, desto schlechter ist es um die Artenvielfalt bestellt. In Europa befinden sich nur 15 Prozent der Lebensräume in einem guten Zustand, mehr als 80 Prozent haben einen zumindest ungünstigen Status.

 

Die weltweite Situation ist nicht beruhigender: In den letzten fünfzig Jahren ist etwa die Zahl der wildlebenden Tiere um dramatische 68 Prozent zurückgegangen. Laut Weltbiodiversitätsrat ist von den weltweit bekannten acht Millionen Tier- und Pflanzenarten eine Million vom Aussterben bedroht. Pro Tag verschwinden rund 150 Arten für immer. Durch unseren nicht nachhaltigen Lebensstil schädigen wir die Funktions- und Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme auf Dauer.

 

Die von der internationalen Staatengemeinschaft beschlossene UNO-Konvention zur „Biologischen Vielfalt“ sowie die jeweils ab 2010 entwickelte europäische und österreichische Biodiversitätsstrategie weisen den Weg in die richtige Richtung, haben aber noch keine Trendumkehr bewirkt. Die vorgesehenen Instrumente sind zwar beschrieben, haben aber kaum mehr als einen moralisch verpflichtenden Charakter. Gerade auf europäischer oder nationaler Ebene wäre eine verpflichtende Umsetzung wichtiger Maßnahmen zur Biodiversitätssicherung eine Möglichkeit, die aber nicht genutzt wird, da anderen Interessen Vorrang eingeräumt wird.

 

 

Klimaschutz = Artenschutz = Lebensraumschutz = Menschenschutz

Die letzten Jahrzehnte waren von einer deutlichen Intensivierung der Nutzung der Naturräume geprägt. Dadurch konnte eine große Ressourcenausbeute für die wachsende Weltbevölkerung bei steigendem Wohlstand erzielt werden. Der Preis dafür ist aber hoch: Die ökologische Qualität der Naturräume hat stark gelitten. Verstärkt wird dieser Effekt nunmehr durch die globale Erwärmung mit weitreichenden Folgen für den Naturhaushalt und die Ernährungssicherheit. Können in einer Region durch Änderung der Fruchtfolge die Folgen des wärmeren Klimas noch abgefangen werden, wirken sich ausbleibende Niederschläge und Trockenheit auf wenig widerstandsfähige Produktionsweisen fatal aus. Dies kann nur mehr durch künstliche Bewässerung großer Gebiete ausgeglichen werden. Die Landnutzungsänderung ist daher einer der wichtigsten Faktoren beim Artenschwund. Verstärkt werden diese Effekte durch den hohen Flächenverbrauch und die Versiegelung der Böden. Ein Mehr an Einkaufszentren oder vielen neuen Verkehrsinfrastrukturen wirkt sich dann über Jahrzehnte sehr nachteilig aus. Ein auf Kohlenstoff aufgebautes Energie- und Wirtschaftssystem ist auf Dauer nicht nachhaltig, und viele Probleme sind die Folge, auch der Arten- und Lebensraumverlust.

 

Die Initiative MUTTER ERDE, ein Zusammenschluss des ORF und der führenden Umwelt- und Naturschutzorganisationen Österreichs – Alpenverein, BirdLife, GLOBAL 2000, Greenpeace, Naturfreunde Österreich, Naturschutzbund, VCÖ und WWF -, stellt jedes Jahr ein relevantes Umweltthema ins Zentrum der gemeinsamen Aktivitäten. Der heurige brandaktuelle Schwerpunkt lautet „Klimaschutz ist Artenschutz“. Ziel ist es, ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen, Menschen zum Handeln zu bewegen sowie Umwelt- und Naturschutzprojekte zu unterstützen.

 

 

Was ist aus Sicht der Naturfreunde für mehr Artenvielfalt zu tun?

Die Auswirkungen der ökologischen Krisen werden immer augenscheinlicher. In der österreichischen Biodiversitätspolitik sollten daher folgende Punkte besonders beachtet werden:

  • In der Wirtschaft sind in erster Linie nachhaltige Bewirtschaftungsweisen zu forcieren und mit finanziellen Anreizen zu versehen.
  • Die bestehenden rechtlichen Instrumente zur Biodiversitätssicherung und -verbesserung sind konsequent anzuwenden.
  • Der Vernetzung von Lebensräumen und den bestehenden Schutzgebieten ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
  • 10 Prozent der Landflächen sind streng zu schützen, Teile davon sind als Prozessschutzgebiete einzurichten.
  • Für wesentliche Teile der Biodiversitätsstrategie ist eine rechtlich-verbindliche Form notwendig, die gemeinsam mit den Bundesländern in geeigneter Weise festzulegen ist.

 

Die Natur ist für unser psychisches und physisches Wohlergehen ebenso wichtig wie für die Fähigkeit unserer Gesellschaft, globalen Veränderungen, Gesundheitsbedrohungen und Katastrophen standzuhalten. Der Einsatz für biologische Vielfalt ist deshalb kein Selbstzweck, sondern eine Investition für unser menschliches Wohlbefinden und unsere Gesundheit.

 

Hintersee/Ramsau
Der Bestand an fliegenden Insekten hat in Österreich in den vergangenen 30 Jahren um rund 70 Prozent abgenommen.
Biodiversität

Die Erhaltung der Natur und biologischen Vielfalt ist seit jeher ein zentrales Anliegen der Naturfreunde. Unter Biodiversität versteht man die Vielfalt von Lebensräumen/Ökosystemen, die Vielfalt von Arten (Tiere, Pflanzen, Pilze etc.) und die Vielfalt innerhalb der Arten, also ihrer genetischen Ausstattung.

Je größer die biologische und damit auch genetische Vielfalt ist, umso leichter gelingen die Anpassung von Ökosystemen an Veränderungen, vor allem an den Klimawandel, und somit die Sicherung der menschlichen Lebensgrundlagen. Nur ein intakter Naturhaushalt ist in der Lage, uns auch zukünftig die notwendigen Ökosystemleistungen wie frisches Trinkwasser, saubere Luft, fruchtbare Böden etc. zu liefern.

ANZEIGE
Angebotssuche