Text: Christof Domenig, Redakteur des Magazins „SPORTaktiv“
Beim Thema Dachstein und Klettern fällt alpinhistorisch Interessierten wahrscheinlich sogleich der „Steinerweg“ ein. Jene Route, welche die Brüder Franz und Georg „Irg“ Steiner im Jahr 1909 durch die Dachstein-Südwand fanden und als Erste durchstiegen. Mit rund 800 Metern gehört die Südwand zu den imposantesten Wänden, und der Steinerweg gilt als eine der bekanntesten und begehrtesten Touren der Ostalpen.
Das Gebirge rund um den 2995 m Hohen Dachstein im oberösterreichisch-steirischen Grenzgebiet genießt in der Kletter-Community aber nicht nur aus historischen Gründen einen guten Ruf. „Charakter“, „Vielfalt“ und „Schönheit“ sagt man ihm nach. „Das Dachsteingebiet bietet auch viele spannende Gegensätze“, meint Timo Moser, Bergführer, Kletterer und Ausbildner der Naturfreunde für Alpinklettern und Hochtouren. „Am Fuß des Dachsteins gibt es beispielsweise große Gewässer wie den Hallstätter See oder tosende Bäche im Echerntal. Im Kontrast dazu steht die absolute Wasserlosigkeit oben auf dem Karstplateau, wo jeder Regentropfen sofort im Boden versickert und seinen Weg in den Gosausee oder den Hallstätter See sucht.“ Interessante Gegensätze findet man auch in puncto Einsamkeit, Exposition der Wände, Absicherung oder Gesteinsqualität. „Kurzum: Der Dachstein bietet eine Fülle von Möglichkeiten und reichlich Abwechslung – je nachdem, wohin man sich wendet“, weiß der 35-Jährige, der im nördlichen Dachsteingebiet etliche Kletterrouten saniert hat.
Sechs Kilometer nördlich des Dachsteingipfels steht auf der Wiesberghöhe (1884 m) das Wiesberghaus der Naturfreunde, das bereits 1927 eröffnet wurde. Dank umfassender Renovierungsarbeiten der Naturfreunde Lenzing ist es heute eine der komfortabelsten und schönsten Hütten in der Region. Das Wiesberghaus dient nicht nur als wichtiges alpines Ausbildungszentrum der Naturfreunde (siehe Infobox), sondern auch als Ausgangspunkt für Berg- und Klettertouren mit kurzem Zustieg.
Vom Wiesberghaus haben Kletterinnen und Kletterer eine große Auswahl: Etwa 50 Kletterrouten sind von der Hütte aus in 30 Gehminuten und bis zu 150 Kletterrouten in einer Stunde erreichbar. Der nächste Klettergarten ist nur zehn Gehminuten vom „Stützpunkt“ entfernt. Die Qualität des Kletterangebots beschreibt Timo Moser so: „Einerseits ist es ein zum Lernen und damit auch für Kurse ideales Gelände - mit Blöcken und geneigten Platten zur Trittschulung, mit kompakten und nahezu steinschlagsicheren Klettergärten. Im nahen Umfeld finden sich auch sehr gut abgesicherte alpine Mehrseillängentouren im mittleren Schwierigkeitsgrad, die so beschaffen sind, wie es dem klassischen Alpinklettern entspricht, und mit einer vielfältigen Felsauswahl von kompakt bis brüchig.“
Etliche Routen sind auch zum Einsteigen geeignet. Fortgeschrittene, die bis zum Schwierigkeitsgrad 6 ihr Glück finden, werden ebenfalls sehr gut bedient. Fünf bis zehn Seillängen sind die Regel. Für alle, die es gerne schwieriger mögen, ist das Angebot deutlich dünner. Dennoch: „Auch 8er-Kletterern kann man ein verlängertes Wochenende im Wiesberghaus durchaus empfehlen“, meint der erfahrene Kletterer Timo Moser.
Müsste Timo Moser eine Handvoll Routen möglichst unterschiedlicher Schwierigkeit auswählen, würde der intime Kenner der Region die folgenden empfehlen: „Für Einsteigerinnen und Einsteiger sind der ‚Verbindungsweg‘ und die ‚Schräge Südost‘ eine feine Sache; die letztgenannte ist eine sehr gut eingebohrte und abgesicherte Anfängerroute im 5. Grad. Die Route ‚Wasserrillenpfeiler‘ besticht durch ihren wasserzerfressenen und kompakten Fels, vor allem im unteren Drittel, und bietet knackige Seillängen im 6. Grad.“
Unter den anspruchsvolleren Mehrseillängenrouten hebt Moser die Routen „Steh auf Männchen“ und „Steinschmeißer“ hervor. Letztere ist mit 7+ bewertet, während „Steh auf Männchen“ noch auf eine endgültige Schwierigkeitsbewertung wartet.
Seine persönlichen Favoriten verrät Timo Moser auch: „Die Routen auf den Ochsenkogel sind etwas ganz Besonderes. Nach ca. zehn Seillängen, die über senkrechten rauen Kalk führen, steigt man in ein grasbewachsenes Gipfelplateau aus, das zum Verweilen einlädt. Die fantastische Aussicht und der Blick auf den Hallstätter Gletscher begeistern mich jedes Mal aufs Neue.“
Zu einem gelungenen Kletterwochenende gehört freilich auch das richtige Hüttenambiente. Diesbezüglich kann das Wiesberghaus jede Menge bieten. Seit Oktober 2015 schwingt hier Pächterin Renate Kritzinger das Zepter sowie den Kochlöffel in der Küche; sie versorgt ihre Gäste mit leckeren, ausgewogenen Menüs. Zufriedene Gäste, die online ihre Kritik abgegeben haben, wissen ein Loblied darauf zu singen. Sie schätzen das gute Essen, die Freundlichkeit und die Atmosphäre in der Hütte sehr; die Durchschnittsbewertung von 4,6 Sternen (maximal 5) bei 100 Google-Einträgen kann sich sehen lassen. Auch Timo Moser kann sich dem Lob nur anschließen: „Die Gastfreundschaft und Herzlichkeit der Hüttenwirtsleute sind für mich ein wichtiger Grund, dass ich mich stets auf das Wiesberghaus freue. Und der blutrote Himmel bei Sonnenuntergang, von der Hüttenterrasse aus zu bewundern, ist ein weiterer Grund dafür.“
Das Wiesberghaus liegt im Gemeindegebiet von Hallstatt, in einem touristischen Hotspot. 1884 Meter über dem Meeresspiegel ist davon zum Glück nichts zu bemerken, auch wenn die Hütte in den Sommermonaten ein beliebtes Tagesausflugsziel ist.
Der Anmarsch zur Hütte ist von der Tropfwand (zum Ausgangspunkt geht es mit dem Taxi) in rund 1¾ Stunden zu machen: Man geht durch eine schöne Naturlandschaft mit Lärchenwäldern, Almblumen und Zirben. Noch schneller ist man von der Gjaidalmstation nach der Auffahrt mit der Krippensteinseilbahn. Timo Moser bevorzugt den Weg übers Echerntal, der zwar länger ist und deutlich mehr Höhenmeter überwindet, aber dafür mehr Naturerlebnis bietet. Expertentipp: „Den Rucksack kann man mit der Materialseilbahn raufschicken, dann geht es sich leichter.“
Damit man die besten Kletterrouten rund ums Wiesberghaus auch gut findet, arbeitet ein Team der Naturfreunde rund um Timo Moser zurzeit an einem Kletterführer über die Region Dachstein Nord. Erscheinen wird dieser Führer 2021. Bis dahin holt man sich alle Kletterinfos bei Renate Kritzinger und ihrem Team vor Ort.
Das Wiesberghaus der Naturfreunde Oberösterreich liegt auf 1884 m Höhe mitten im Dachsteinmassiv. Es ist in jeder Jahreszeit Ausgangspunkt für eine breite Palette von Aktivitäten wie (Schneeschuh-)Wanderungen, hochalpine Begehungen in Eis und Fels sowie Schitouren.
Die Hütte bietet 80 Schlafplätze - vom Zweibettzimmer bis zum Matratzenlager. Es gibt sogar eine „Honeymoonsuite“.
Zugänge zur Hütte
Der Gepäcktransport mit der Materialseilbahn ist von Hallstatt aus möglich (vorab telefonisch vereinbaren).
Pächterin: Renate Kritzinger
Kontakt: 0664/121 13 70, E-Mail: office@wiesberghaus.at, wiesberghaus.at
Alpines Ausbildungszentrum der Naturfreunde
In der Naturfreunde-Akademie werden jährlich über 9000 Funktionärinnen und Funktionäre aus- und fortgebildet – viele davon auch im Alpinen Ausbildungszentrum Wiesberghaus. Das Haus und die Umgebung sind für alpine Sicherheitsausbildungen im Sommer wie im Winter ideal: Es gibt einen Seminarraum, ein Klettergarten ist in nur zehn Gehminuten entfernt, sanierte Mehrseillängentouren und Abseilpisten sind ebenso in der Nähe wie Klettersteige. Auch für Gletschertouren sowie für Firn- und Eistrainings ist das Wiesberghaus ein sehr guter Ausgangspunkt.
2021: Neuer Kletterführer „Dachstein Nord“
Timo Moser und ein Team der Naturfreunde arbeiten zurzeit an einem Kletterführer, der bis zu 200 Routen in der Region Dachstein Nord beschreiben wird und im kommenden Jahr vorliegen soll.