Beim Freeriden steht die Abfahrt im Vordergrund: möglichst viel Abfahrtsgenuss bei möglichst wenig Aufstiegsmühen. Eine elegante Abfahrtsspur unter Ausnutzung der Geländeformen (auf Freeriderisch: line) ist die Krönung eines Freeride-Tages.
Beim Freeriden sind die Anforderungen an Orientierung und Risikomanagement herausfordernder als bei einer klassischen Schitour, da die Abfahrtsroute meist nicht durch einen vorherigen Aufstieg bekannt ist. Dass die obligatorische Notfallausrüstung immer mitgeführt werden muss, versteht sich von selbst; Lawinen-Airbag-Rucksäcke sind schon fast Standard. Natürlich trägt man beim Freeriden einen Schihelm.
Der Arlberg ist mit rund 200 km2das österreichische Variantenschigebiet schlechthin. Nach Schneefällen heißt es, sehr schnell sein! Die bekannten Tiefschneereviere sind oft bereits am späten Vormittag verspurt.
Das Arlberg-Gebiet umfasst die gesamte Region um St. Anton und Zürs/Lech. Die Freeride-Szene aus dem In- und Ausland fühlt sich vor allem in St. Anton wohl, das in einzigartiger Weise internationales Flair und dörfliche Gemütlichkeit verbindet.
Zwischen Zürs/Lech und St. Anton liegt Stuben. Nordweststaulagen versorgen den Arlberg regelmäßig mit ausreichend Niederschlag. Stuben gilt als das Schneeloch. Der Hausberg von Stuben ist die Albona, Lifte führen auf etwa 2400 m. Die baumlosen Nordhänge sind ein ideales Freeride-Gelände und haben meist guten Schnee.
Ein besonderes Zuckerl ist die Tour auf den Maroikopf. Von der Bergstation am Albonagrat queren wir zuerst bis zum Fuß des Berges. Bei ausgetretener Spur können die Schier geschultert werden, angenehmer ist der Aufstieg jedoch mit Fellen. Der Gipfel des Maroikopfs ist schnell erreicht. Nach Langen oder ins Maroital? Beide Abfahrten sind phantastisch: Breite, offene Hänge bieten Platz für zahlreiche Spuren. Die schattseitige Abfahrt über satte 1300 Hm nach Langen bietet meist besten Pulver. Bei Firn empfiehlt sich die Abfahrt nach Süden ins Maroital (1100 Hm).
Die Schiregion rund um Davos gehört zu den Freeride-Gebieten der absoluten Spitzenklasse. Trotz vieler Seilbahnen gibt es zahlreiche Freeride-Abfahrten in einsame Täler.
Mein Freeride-Favorit ist die grenzüberschreitende Tour rund um die mächtige Madrisa: von Klosters über Gargellen im österreichischen Montafon zurück nach St. Antönien in der Schweiz. Mit Gondelbahn und zwei Schleppliften geht es rauf zum Rätschenjoch. Nach einer kurzen Abfahrt mit anschließender Querung in der Südflanke des Madrisahorns steigen wir ins Schlappiner Joch auf. Staatsgrenze. Üblicherweise wird vom Joch direkt nach Gargellen abgefahren. Rechts des Jochs lockt jedoch der felsige Gipfel der Schlappiner Spitze (2442 m), von dem eine anspruchsvolle Abfahrt ins Wintertal führt. Viel zu schnell treffen wir wieder auf die Standardabfahrt, die wir jetzt bis Gargellen verfolgen.
Von dort bringen uns Gondelbahn und Sessellift auf eine Höhe von etwa 2300 m. Nach einer kurzen Abfahrt und einem knapp einstündigen Aufstieg stehen wir am St. Antönier Joch (2379 m). Grenze Österreich/Schweiz. Mit genussvollen Schwüngen durch das Alpeltitälli nach St. Antönien beenden wir die Runde. Bus und Rhätische Bahn bringen uns zurück zum Ausgangspunkt.
Disentis liegt gut 60 km westlich von Chur, dort, wo der Vorderrhein entspringt. Im Winter ist es hier recht ruhig. Der Oberalppass nach Andermatt ist für Autos geschlossen, der Lukmanierpass, der ins Tessin führt, nur tagsüber geöffnet.
Vergleichsweise wenige WintersportlerInnen verirren sich in dieses Eck der Schweiz. Erstaunlich. Charakteristisch für Disentis: lange Abfahrten mit gewaltigen Höhenunterschieden und riesige Einzelhänge, die viel Spielraum für Schwünge in unverspurtem Gelände lassen.
Val Gronda, Val Acletta und Val Segnas heißen die Variantenabfahrten, die ohne Aufstiegsmühen von der Bergstation auf gut 2800 m zur Talstation führen. Macht jeweils 1600 Hm Abfahrt.
Das Highlight jeder Freeride-Woche in Disentis ist die Besteigung des Oberalpstocks (3328 m), eines auffallenden Gletscherbergs mit einem tollen Rundblick. Von der Bergstation auf etwa 2800 m unter dem Gipfel des Piz Ault queren wir zur Aultscharte. Eisenklammern helfen uns bei den letzten Aufstiegsmetern. Nach kurzer Abfahrt zum Brunnifirn steigen wir in gemütlichen zwei Stunden zum Gipfel auf.
Die rassige 1800-Hm-Abfahrt nach Westen über die gewaltigen Hänge des Val Strem nach Sedrun gehört mit zu dem Besten, was die Alpen Freeridern zu bieten haben. Und zurück nach Disentis geht’s mit der Matterhorn-Gotthard-Bahn.
Am nächsten Tag fahren wir mit dieser Bahn nach Andermatt. Unser Ziel: der legendäre Gemsstock (2961 m) – ein Freeride-Berg par excellence. Unterhalb der Seilbahn gibt es eine präparierte Abfahrt, der Rest des Berges ist hochalpines Freeride-Terrain mit mehreren Off-piste-Abfahrten. „Felsental“, „Giraffe“ und „Guspis“ heißen die Klassiker. Die Abfahrten am Gemsstock sind eher für den erfahrenen Freerider. Mein Favorit ist die Abfahrt durch das Guspistal. Über breite Hänge führt die Abfahrt (1500 Hm) ins Guspis und zuletzt auf der im Winter gesperrten Gotthardpass-Straße nach Hospental.
Chamonix ist das Mekka der FreeriderInnen. Zahlreiche Freeride-Abfahrten führen über vergletschertes Gelände. Bei diesen Touren ist eine Gletscherausrüstung (Seil, Gurt, erforderliche Sicherungsmittel) mitzuführen.
Im Tal von Chamonix gibt es fünf Schigebiete: Vor allem die Aiguille du Midi (3842 m) und Grands Montets im Nachbarort Argentière sowie das Schigebiet Brévent-Flégère haben nahezu unbegrenztes Freeride-Potential.
Bei der Auffahrt mit der Seilbahn auf die Aiguille du Midi werden gut 2800 Hm überwunden. Noch spektakulärer als die Auffahrt ist die Aussicht von der Panoramaterrasse auf 3842 m. Die Bergstation ist der Ausgangspunkt für zahlreiche Schitouren und Freeride-Unternehmungen im Montblanc-Massiv. Die bekannteste Variantenabfahrt führt durch das Vallée Blanche und über das Mer de Glace nach Montenvers. Mit einer Länge von etwa 20 km und einem Höhenunterschied von 1900 m ist dies die längste durch eine Seilbahn erschlossene Variantenabfahrt der Welt.
Die Mehrzahl der SchifahrerInnen, die mit der Gondel zur Bergstation schweben, hat diese Abfahrt zum Ziel. Ein schmaler, mit einem Fixseil gesicherter Grat führt von der Bergstation zum Gletscher. Der Abstieg - vor allem bei Vereisung - ist bereits die erste Herausforderung. Neben der markierten „Hauptroute“ gibt es zahlreiche andere Varianten durch das Gletscherlabyrinth, allesamt anspruchsvoller.
Unser Ziel: eine Rundtour mit einem Abstecher nach Italien. Wir fahren zunächst mit dem Gros der SkifahrerInnen auf der Standardroute bis auf eine Höhe von 3150 m ab. Dort verlassen wir die Schiroute und steigen in südöstlicher Richtung zur Scharte Col oriental de Toule (3411 m) auf. Auf der anderen Seite erleichtert eine große Metallleiter den Abstieg auf den Glacier de Toule. Wir befinden uns jetzt auf der italienischen Seite des Montblanc-Massivs und fahren dort etwa 1200 Hm Richtung Courmayeur ab. Nun geht es per Seilbahn zur Pointe Helbronner (3462 m). Von dort erreichen wir über steile Hänge und durch ein Spaltenwirrwarr wieder den Hauptstrom des Vallée Blanche. Eine großzügige und landschaftlich beeindruckende Runde!
Appetit aufs Freeriden bekommen? Die Alpen bieten eine nahezu unbegrenzte Anzahl lohnender Freeride-Gebiete. Doch wo immer wir unsere lines ziehen, stets gilt als oberste Maxime: Safety first!
Text und Fotos: Dr. Helmuth Preslmaier, Bundesreferent für Schitouren der Naturfreunde Österreich
Die Naturfreunde Linz haben in ihrem Programm super Freeride-Angebote.
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