Auf seinen 517 km verändert der Inn mehrmals das Aussehen. Mal ist er unbändig, dann wieder lieblich wie in einem Heimatfilm. Mit einem Einzugsgebiet von 26.000 km2, etwa so groß wie der Balkanstaat Mazedonien, gehört er zu den mächtigsten Alpenflüssen.
Meine Frau Monika und ich möchten in den nächsten sechs Tagen den zweiten Abschnitt des Innradwegs befahren: von Innsbruck nach Passau. Wir hängen in Innsbruck die Packtaschen an die Fahrräder. Noch schnell die Hofkirche mit dem Grabmal Maximilians I. und den „Schwarzen Mandern“ anschauen, danach das Goldene Dachl fotografieren, und los geht es.
Flankiert von den steil abfallenden Kalkwänden des Karwendels führt uns der leicht abschüssige Radweg Richtung Osten. Das Tal ist breit. Im Zickzack steuern wir durch Felder und Kleinstädte. Die Sonne scheint, und in der Ferne rauscht der Verkehr über die Inntalautobahn. Kaum jemand, der heute nach Italien braust, weiß, dass hier in den Bergen einst ein großer Schatz lag. Die Rede ist vom Schwazer Silberbergwerk (ganzjährig geöffnet), das wir besichtigen wollen. Der römisch-deutsche König und spätere Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Maximilian I. finanzierte u. a. seine zahlreichen Kriege mit den Erträgen aus dem Schwazer Bergbau. Wir tauschen den Rad- gegen einen Grubenhelm. „Nicht aus dem Wagen lehnen und keinen verlorenen Gegenständen nachfassen!“, ermahnt uns der Führer und setzt die Grubenbahn in Bewegung. Ein frischer Luftzug weht uns entgegen. Die Wände rücken bedrohlich zusammen, und die Decke kommt näher. Wasser tropft.
Am Ende des Tunnelgangs erfahren wir, dass zu Beginn des 16. Jahrhunderts 85 % des weltweit abgebauten Silbers aus diesem Stollen kamen. Neben dem Silber förderte man die 70-fache Menge an Kupfer. Das Schwazer Silber und Kupfer bildeten die finanzielle Basis für das Weltreich der Habsburger. Der damalige Reichtum Tirols spiegelt sich in zahlreichen Burgen und Schlössern wider, die uns den Weg durch das Tal weisen.
Auf den nächsten Etappen stimmt alles, vor allem das Wetter. Von Jenbach aus unternehmen wir einen Ausflug zum Achensee: Per Europas ältester Dampf-Zahnradbahn geht es nach oben. Den Weg zurück, über die Serpentinen, finden unsere Räder wie von selbst. Wieder im Tal sind das Museum Tiroler Bauernhöfe in Kramsach (Saisonbeginn: 9. April 2017) und die Altstadt von Rattenberg willkommene Stopps. In Kufstein lauschen wir einem Orgelkonzert und klettern die Türme der Festung hinauf. Von hier oben sehen wir, dass der Inn gen Norden abknickt. Wo die Bayerischen Voralpen auf die Chiemgauer Alpen treffen, weitet sich der Himmel.
Von Kiefersfelden nach Rosenheim und weiter nach Wasserburg gleiten wir zügig über den feinkörnigen Dammweg. Hier das Kaisergebirge, da das viel besuchte Ausstellungszentrum Lokschuppen und dort Wasserburg, eine der schönsten Städte Bayerns. An dieser Stelle biegt der Inn vor den Hügeln des Alpenvorlands kapitulierend nach Osten ab. Mit eindrucksvollen Schleifen sucht sich das Wasser einen Weg durch das von eiszeitlichen Gletschern modellierte Terrain. Die Anhöhen zwingen uns bis Mühldorf am Inn mehrmals aus dem Sattel. In einem ständigen Auf und Ab geht es über Weiden, durch Waldstreifen und an herrschaftlichen Bauernhöfen vorbei. 50 km später ist die Bergetappe gemeistert. Die Landschaft stiehlt sich in alle Richtungen davon. Wir schalten wieder in den Genussmodus und kommen schließlich zum Europareservat Unterer Inn (geöffnet vom 1. April-15. Oktober 2017). Für Vögel ist das Geflecht aus Flachwasserzonen, Schlickbänken, Seebecken und Inseln ein Paradies.
Dieses bayerisch-oberösterreichische Schutzgebiet reicht bis zur Barockstadt Schärding, wo sich vor der sogenannten Silberzeile der Obere Stadtplatz erstreckt. Die hier stehenden Bürgerhäuser aus dem 16. bis 19. Jahrhundert sind Vertreter des typischen Inn-Salzach-Baustils und so bunt, als hätte man einen Malkasten geplündert: Ihre Fassaden leuchten in Adriablau, Apricot, Mintgrün, Gelb und Flamingorot.
In Schärding setzt der Radweg zum Finale an. Auf den letzten 16 km fließt der zu einer stattlichen Größe angewachsene Inn durch ein breites, mit schroffen Felsen durchsetztes Waldtal. Wo die Bäume zurückweichen, liegt unser Ziel: Passau. Dort zieht der Fluss gemächlich zwischen den prächtigen Bauten und Kirchen hindurch. Dann geht alles ganz schnell. Das Tal weitet sich, von links strömt ein anderes Gewässer herbei. Es ist die Donau. Interessant ist, dass der milchig-grüne Inn zur Zeit der Schneeschmelze bedeutend mehr Wasser führt als die blaue Donau. Jedoch ist sie es, die ihren Namen bis zum Schwarzen Meer behält. Name hin oder her, der Innradweg ist auf jeden Fall eine Reise wert!
Text und Fotos: Thorsten Brönner, Autor, Fotograf und begeisterter Radfahrer
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Die radlerfreundliche Topografie macht den Innradweg zu einem lohnenden Ziel für Familien mit Kindern. Einzig im Schweizer Abschnitt muss man mit größeren Steigungen rechnen. Der Großteil der Strecke führt über eigenständige Radwege, die in Bayern teils Kiespassagen aufweisen.
Komplette Länge: 530 km
Wenn man rund 60 km pro Tag veranschlagt, braucht man für die Befahrung des Innradwegs neun Tage. Will man auch Besichtigungen machen, nimmt man sich besser zehn Tage Zeit.
Weglänge Abschnitt Innsbruck–Passau: rund 314 km
Für diese Wegstück sind fünf bis sechs Tage einzuplanen.
Thorsten Brönner
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