Text und Fotos: Thorsten Brönner, Autor, Fotograf und begeisterter Radfahrer
Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu versprechen. So wie hier im Zillertal. Ich stehe mit der Kölner Journalistin Janine Breuer-Kolo im Ort Fügen und habe ihr die vor uns liegende Tour auf das Kellerjoch (2344 m) leicht geredet, erzählt, dass wir mit E-Bikes fahren, jederzeit umkehren können, auch bei der Wanderung am Nachmittag. Als wir unseren durchtrainierten Guide sehen, komme ich ins Grübeln: Ist die heutige Tagestour doch nicht so einfach?
Das Einrollen entfällt. Die Straße, in die wir hineinsteuern, klettert steil wie ein Schlussanstieg einer Bergetappe der Tour de France hinauf. Wir schalten die Trittunterstützung zu. Meine Beine fühlen sich jetzt bärenstark an, gerade so, als hätte ich zum Frühstück Miraculix’ Zaubertrank geschlürft. Rennfahrern gleich nehmen wir Kehre um Kehre. Mit der Höhe geht die Herzfrequenz nach oben. Die Geschwindigkeit dagegen fällt. Sie fällt von 11 km/h an der Talstation der Spieljochbahn auf 8 km/h am Waldrand und auf 7 km/h mit Beginn eines Schotterweges. Ab und zu blicke ich auf die Anzeige des Akkus. Die Höhenmeter saugen ihm die Energie heraus. Allmählich erlöschen die grünen Lämpchen. Doch wir haben die Energie gut eingeteilt und erreichen rechtzeitig die Gartalm auf 1860 m, wo wir uns mit einem Kaiserschmarren stärken. Danach spielt die Bike- & Hiketour den zweiten Trumpf aus. Während die meisten Wandernden talwärts gehen, brechen wir zu Fuß zum Gipfel auf. Kurz vor unserem Ziel wird der Weg zu einem steinigen, schmalen Pfad. Weiter oben schlittern die Wanderschuhe über schlammigen braunen Boden. Vor uns ragt die kleine Kellerjochkapelle auf. Abklatschen und das Panorama genießen! Gen Süden der Hauptkamm der Zillertaler Alpen. Die Gipfelschau macht Appetit auf den Nationalpark Hohe Tauern. Dorthin geht es als Nächstes.
Meine Frau Monika begleitet mich auf der zweiten Tour. Wir sind im Ferienort Gerlos. Der Himmel ist trist-grau. Kein guter Tag, um in die Berge zu radeln. Am Morgen hat es 10 Grad, und für den Nachmittag zeigt die Wetter-App Regen an. Wir fordern unser Glück heraus, steigen auf die E-Mountainbikes. Ihre Akkus sind voll, und wir greifen ihre Energie gerne ab. Unsere müssen wir einteilen, denn der Tag wird anstrengend. Doch jetzt ist erst einmal Fahrspaß angesagt. Ein herrlich zu fahrender Single Trail taucht in einen dunklen Fichtenwald. Neben uns zieht der Gerlosbach zu Tal. Nach 6 km im Sattel öffnet sich der Wald. Voraus der Durlassboden-Stausee. Oben schmiegt sich die Radroute eng ans Ufer und führt von Tirol hinüber ins Salzburger Land. Wandernde ziehen bergwärts Richtung Süden. Beim Familienhotel Finkau parken wir die E-Bikes unter einer Überdachung und wandern los. Meine Vorfreude steigert sich, denn jetzt geht es in den Nationalpark Hohe Tauern. Seit 1981 kann sich die Natur hier im größten Schutzgebiet der Alpen frei entfalten. Mit der Leitenkammerklamm zeigt sich der Nationalpark gleich von seiner wilden Seite. Im Wald zieht ein Rauschen auf, das zu einem Brausen anschwillt, je näher wir kommen. Seit der letzten Eiszeit hat sich der Gerlosbach eine Rinne in die harten Gneisgesteine geschnitten. Jedes Jahr ein Stückchen tiefer. Das Wasser strudelt an den engen Felswänden entlang, der aufgewühlte Sand schmirgelt sie glatt. Der Gerlosbach gurgelt in den Auswaschungen, stürzt über mehrere Geländestufen hinweg. Mal sieht die Klamm wie aufgeschäumte Milch aus, mal wie ein türkiser Whirlpool. Der Wanderweg Nummer 540 zieht sich in einer langen Geraden das enger werdende Trogtal hinauf. Hier könnte man noch gut 5 km radeln. Doch am Talschluss gibt es keinen überdachten Stellplatz, und nun verdunkelt sich der Himmel. An die Hänge krallen sich urwüchsige Zirbenbäume. Weiter oben gibt es nur noch Wiesen, Schotterbänke, Geröll, Wasserfälle und in einer Höhe von 1880 m eine Materialseilbahn. Sie gehört zur Zittauer Hütte (2328 m). Jetzt wird der Weg hochalpin, steigt zickzack bergan. Es nieselt. Wir kramen die Regensachen aus dem Rucksack, verputzen je einen Powerriegel und nehmen einen großen Schluck aus der Trinkflasche. Zäh wie Nebel kleben die Wolken an den Gipfeln. Der Regen wird stärker. Patschnass erreichen wir die Zittauer Hütte und ergattern eines der drei Doppelzimmer. Duschen, trockene Kleidung, heißer Tee – mehr braucht es nicht für behagliches Hüttenfeeling. Die Wetter-App verspricht für den nächsten Tag wolkenlosen Himmel. Perfekt, um noch vor Sonnenaufgang auf den 2845 m hohen Rosskopf zu steigen.
Die letzte Tour, die mich aufs Pfitscher Joch (2246 m) und zum bereits in Südtirol gelegenen Pfitscher-Joch-Haus (2276 m) bringen wird, bestreite ich alleine. Das Bergsteigerdorf Ginzling sonnt sich im Zemmtal zwischen Wiesen auf 985 m Höhe. Das E-Mountainbike saust auf einer Asphaltstraße tiefer ins Gebirge. Ich kenne nun die Reichweite des Akkus, jage ihm bewusst die Energie heraus. Mein Herz schaltet einen Gang höher. Ringsum wilde Berge, Bäche, Kühe, Ziegen. Nach 14 km und 830 Höhenmetern rückt die Staumauer des Schlegeisspeichers ins Bild. Vier Spitzkehren, ein Tunnel - schon bin ich oben. Mit dem türkisen Wasser und den Bergen, die den See einrahmen, erinnert er an einen norwegischen Fjord. Ich schließe mein Bike an der Station s’Raschtl ab, kaufe etwas zum Trinken und mache mich für die nächsten 10 km bereit. Diese führen zunächst steil bergan zum Friesenberghaus (2477 m), von dort zur Olpererhütte (2389 m), wo ich am frühen Nachmittag eintreffe, um hier zu übernachten. Als ich am nächsten Tag mit gepacktem Rucksack durch den Speisesaal gehe und die Haustür ansteuere, leuchtet mir ein Aushang entgegen: „Achtung, Achtung, Achtung!“, ist zu lesen. „Im Bereich des Oberschrammachbachs auf dem Weg zum Pfitscher Joch bitte unbedingt den Markierungen folgen und den Bach wie markiert ca. 50 m oberhalb des alten Wegverlaufes überqueren.“ Die tief stehende Sonne flutet die Berge mit ihrem weichen Licht. Der gut ausgebaute Höhenweg führt über den Riepenbach und Unterschrammachbach zum Oberschrammachbach. Ich genieße die Tour mit ihren traumhaften Ausblicken. Die Markierung hat von Rot (mittelschwer) auf Schwarz (ausgesetzter Weg) gewechselt. Noch immer komme ich gut voran. Doch dann stehe ich vor der Schlüsselstelle, dort, wo der Oberschrammachbach steil über eine Felskante springt. Nachdem ich eine Furt überquert und die heikle Stelle überwunden habe, wandere ich unbeschwert weiter. Schritt für Schritt steigt mein Hochgefühl. Heute ist ein herrlicher Spätsommertag. Ich fühle mich prächtig, genieße die Stille, die Sonne auf der Haut. Die Erlebnisse der letzten Tage schwirren mir durch den Kopf: Radfahren, Wandern, viele Begegnungen am Wegesrand und köstliches Essen. Was die finalen Kilometer bringen werden, weiß ich noch nicht. Sicher ist: unten am Schlegeisspeicher wartet das Bike auf mich. Von dort aus brauche ich es nur noch runterrollen zu lassen.
TOURENINFOS
Tour 1
Biken: Fügen-Geolsalm–Gartalm, 30 km (hin und zurück), 1650 Hm ↑
Wandern: Gartalm–Kellerjoch–Gartalm, 5 km (hin und zurück), 500 Hm ↑
Tour 2
Biken: Gerlos-Speicher Durlassboden-Familienhotel Finkau, 22 km (hin und zurück), 650 Hm ↑
Wandern: Familienhotel Finkau–Zittauer Hütte (Übernachtung)–Rosskopf, 20 km (hin und zurück), 1500 Hm↑
Tour 3
Biken: Ginzling-Schlegeisspeicher, 28 km (hin und zurück), 940 Hm ↑
Wandern: Schlegeisspeicher-Friesenberghaus–Olpererhütte (Übernachtung)–Pfitscher-Joch-Haus–Schlegeisspeicher, 30 km (hin und zurück), 1700 Hm ↑