Klettern im Gesäuse hat alpinistische Tradition. Seit über einem Jahrhundert suchen und finden Kletterinnen und Kletterer im „Xeis“, in den beeindruckenden Wandfluchten hoch über der Enns, bergsteigerische Erfüllung.
Wer gerne in einsamen und alpinen Routen in wildem Ambiente klettert, kommt vor allem in den steil abstürzenden Nordwänden der Hochtor-Gruppe auf seine Kosten. Die langen, teils mühsamen Zu- und Abstiege, die manchmal anspruchsvollen Vorbauten und die Tourenlängen lassen die Anstiege zu großen fordernden Unternehmungen werden. Gerade darin stecken der Reiz und die Faszination. Einsamkeit und Ruhe, als kleiner Mensch in Hunderte Meter hohen Felswänden, das ist das Gesäuse.
Zu den alpinen Vermächtnissen einer Generation der Entdecker und Erschließer zählen heute die großen Klassiker der Ostalpen: die Ödsteinkante, die Nordwestwand der Planspitze, die Nordostwand des Peternschartenkopf und die Jahn-Zimmer-Route in der Hochtor-Nordwand. Diese Namen klingen in den Ohren von Kletterinnen und Kletterern wie Musik. Noch heute kann man sich hier - trotz der sporadischen Bohrhakenabsicherung und Führerliteratur - exponiert und auf Entdeckungsreise in einer wunderbaren alpinen Welt fühlen.
Nicht ohne Grund wurde nach Kurt Maix der Peilstein als Volksschule, Rax und Schneeberg als Hauptschule und das Gesäuse als Hochschule des Bergsteigens bezeichnet. Eine Spielwiese für NaturliebhaberInnen, für alpine Füchse und für BergsteigerInnen mit Mut zum Abenteuer.
Genusskletterinnen und -kletterer finden sonniges Klettern in wasserzerfressenem Kalkgestein, in zahlreichen mit Bohrhaken ausgestatteten Routen, vor allem auf der Südseite, beispielsweise auf dem Festkogel, dem Kleinen Ödstein, dem Kalbling und dem Großen Buchstein. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden dort lohnende Kletterziele in einem breit gefächerten Schwierigkeitsbereich maßvoll saniert und mit Bohrhaken ausgestattet; sie erfreuen sich heute großer Beliebtheit.
Im Sanierungskonzept wurden die Revitalisierung und Entschärfung einiger oft begangener Routen angestrebt. Zwei tragische Seilschaftsstürze haben diese Maßnahmen für sinnvoll erscheinen lassen. Einige Bohrhakengegner haben diese Entwicklung nicht gutgeheißen. Heute sind diese Stimmen verstummt, und jede/jeder Kletterin/Kletterer freut sich über den Sicherheitsgewinn. Im Zuge der Sanierung wurden zur Vermeidung von Seilschaftsstürzen meist nur die Standplätze sowie neuralgische Stellen mit Bohrhaken ausgestattet. Damit blieb der alpine Charakter der Routen weitgehend erhalten. Zahlreiche Routen wurden erfreulicherweise von den Erstbegehern selbst saniert. Teilweise wurden zugunsten der Felsqualität oder des Seilverlaufs auch geringfügige Änderungen in der Linienführung gemacht. Dadurch entstanden einige Routen in moderaten Schwierigkeitsgraden, die sehr beliebt sind.
Text von Jürgen Reinmüller, Fotos: Alexandra Leitner und Jürgen Reinmüller
Festkogel: „Waschrumpel“ 6 (5 obl.)
Erstbegeher: M. Strimitzer und J. Reinmüller am 20. 9. 2009
Wandhöhe: 300 m
Genussreiche Platten- und Runsenkletterei, sehr gute Felsqualität und gute Bohrhakenabsicherung in der Festkogel-Südwestwand. Die Schlüsselseillänge ist eine anspruchsvolle tiefe Wasserrunse. Die lohnenden Ausstiegsseillängen befinden sich über dem Weg der Gesäuse-Überschreitung; sie enden am Verbindungsgrat zum Ödsteinkarturm.
Festkogel: „Wasserwerk“ 7- (6 obl.)
Erstbegeher: M. Strimitzer in den Jahren 2009/10
Ausgezeichnete Felsqualität und perfekte Absicherung mit Bohrhaken zeichnen diese ausgesprochen lohnende Route aus. Die Kletterei ist abwechslungsreich und führt über raue, wasserzerfressene Platten, Wasserrunsen und durch tolle Risse. Genusskletterei der Extraklasse!
Großer Buchstein: „König Löwenherz“ 6+ (6 obl.)
Erstbegeher: M. Strimitzer und A. Hollinger in den Jahren 2000/01
Wandhöhe: 350 m
Ausgezeichnet abgesicherte Plaisier-Sportkletterroute in teils wasserzerfressenem und kompaktem Fels. Die Route erfreut sich sehr großer Beliebtheit und weist teils originelle und schöne Kletterstellen auf. Durch die gute Absicherung mit Bohrhaken kommt wahrer Klettergenuss auf!
Ödsteinkarturm: „Schmitt & Co.“ 4- (obl.)
Erstbegeher: R. H. Schmitt und S. Siegmund am 8. 10. 1893
Wandhöhe: 860 m
Sehr empfehlenswerte, mit Bohrhaken abgesicherte und teils markierte Routenkombination in der hohen Nordostwand des Ödsteinkarturms. Die lohnend zusammengestellte Verbindung des Schmittwegs mit anderen teils vorhandenen Varianten erfolgte durch M. Strimitzer; sie ist eine sehr lange Route - vergleichbar mit der „Jahn-Zimmer“.
Nach Regen bleibt der Fels in der Route längere Zeit nass. Der landschaftlich schöne Abstieg (1-2, eine Stelle 3) über den Grat zum Festkogel darf wegen seiner Länge nicht unterschätzt werden!