Text: Marlies Czerny, Fotos: Andreas Lattner
Hätten mein Partner und ich während unseres Kroatien-Urlaubs im Mai nicht zufällig diesen Tipp aufgeschnappt, wären wir wahrscheinlich nach ein paar Klettertagen in Paklenica zurück in die Alpen gereist. Bestimmt aber wären wir nicht der dalmatinischen Küste weiter in Richtung Süden gefolgt. Klettertouren im Traumfels mit bis zu 18 Seillängen? Gipfel, die 1700 Höhenmeter über dem Meer an den Wolken kratzen? Bergstraßen fürs Rennrad? Mit dem Gleitschirm am Strand landen? Worauf noch warten?!
Dreimal vertippen wir uns, ehe wir M-a-k-a-r-s-k-a auf Google Maps richtig eingeben. Der Ort – ganz grob zwischen Split und Dubrovnik gelegen – ist ein beliebtes Urlaubsdomizil mit der angeblich schönsten Riviera Kroatiens. Wir hören von Makarska zum ersten Mal und ebenso vom sich dahinter erhebenden Biokovo. Nur das übergeordnete Dinarische Gebirge ist vom Geographie-Unterricht hängengeblieben. Schnell ist das Halbwissen aufgefüllt: Der berüchtigte Fallwind Bora hat hier seinen Ursprung. In Kroatien heißt er Bura, und in Dalmatien sagt man: „Auf der Dinara (dem mit 1831 Metern höchsten Berg Kroatiens) wird die Bura geboren, getauft wird sie in Makarska, und in Senj heiratet sie.“ Bis zu 250 km/h starke Böen haben Makarska schon heimgesucht. Wir wissen also, wann wir besser einen Rasttag einlegen …
Als wir schließlich Kurs auf Makarska nehmen, tauchen plötzlich wirklich Berge mit schroffen Felswänden aus dem Meer auf! Eingebettet in einen gewaltigen Gebirgskamm, der auf 30 Kilometern Länge und sieben Kilometern Breite zu einem schützenswerten Naturpark erklärt wurde. Fünf Bergab-Kurven später finden wir direkt an der Küste einen Stellplatz für unser Wohnmobil. Wir parken zwischen windschiefen Aleppo-Kiefern und Olivenbäumen, und schon nach wenigen Schritten haben wir Kieselsteine unter den Füßen und Salzwasser zwischen den Zehen.
Unsere Gedanken, womit wir bei dieser Fülle von Klettermöglichkeiten loslegen wollen, versüßt eine Tüte Panna-Cotta-Eis von der Strandpromenade. Unser Blick wandert weit vom Mare zum Monte hinauf. Am höchsten hinauf ragt der Sveti Jure, auf Deutsch der Heilige Georg. Auf seinen Gipfel auf 1762 Metern musste sich der Georg kein Kreuz stellen lassen, sondern einen Sendemast. 90 Meter hoch, damit die Urlaubsgäste in den Hotelbunkern die TV-Kanäle störungsfrei empfangen können. Somit markiert ironischerweise nicht mehr die Dinara, sondern eine Antennenspitze den höchsten Punkt Kroatiens.
Einen besonders guten Draht zum Heiligen Georg haben Rennradfahrer. Zu ihm hinauf führt eine 23 Kilometer lange Asphaltstraße, die der steirische Bergsportler und Rennradfahrer Peter Pesendorfer sehr gut kennt. Er hat nicht nur an den Hochschwab und Dachstein sein Herz verloren, sondern seit vielen Jahren auch ans mediterrane Flair des Biokovo-Gebirges. Neben dem Rennrad hat er auch immer Seile, Karabiner und eine Bohrmaschine im Kofferraum. Der Qualität der Kalkfelsen verleiht er das Attribut „ausgezeichnet“, als wir ihn telefonisch um genauere Infos bitten. „An diesem Platz schöne neue Kletterrouten eröffnen zu dürfen ist ein Geschenk“, erzählt Pesendorfer. Beschenkt fühlen sich auch die Nachsteiger*innen. Der Steirer legt uns den Mehrseillängen-Klassiker am Bukovac ans Herz, die „Dalmatinski San“, was übersetzt „Dalmatinischer Traum“ heißt – nomen est omen. Ebenso werden wir uns noch lange an Pesendorfers eigene tolle Kreation „Born to Live“ erinnern.
Wenn die Fingerkuppen noch den Kontakt mit dem messerscharfen Biokovo-Felsen nachspüren, passt der Wanderweg hinauf zum Pržinovac, von wo wir mit dem Gleitschirm in die Tiefe schweben wollen, perfekt unter die Füße. Wir schlendern im Bergdorf Kotišina an traditionellen Steinhäusern vorbei. Bei den Gemäuern eines Kastells aus dem 17. Jahrhundert könnten wir in einen Botanischen Garten abbiegen, folgen aber dem Weg, der sich zwischen schroffe Felsen schlängelt. Serpentine um Serpentine gewinnt er sanft und konstant an Höhe. So geht Wandern auf mediterrane Art! Auf 1300 Metern über dem Meer überraschen uns eine Wiese und perfekter Wind, der uns mit unserem Gleitschirm abheben lässt. Eine Viertelstunde später setzen wir sanft am Strand auf. Und somit sind wir nur noch einen kleinen Hüpfer entfernt von der Abkühlung im Meer mit Blick auf die Inseln Brač und Hvar. So haben wir uns das nicht vorgestellt. Es ist viel besser!
Schon im Frühling kann die Hitze unerträglich werden. Da lohnt sich frühes Aufstehen doppelt. Die frische Bergluft tut dann besonders gut, wie jene auf dem Vošac. Auf 1422 Metern genießen wir den zum Niederknien schönen Meerblick und staunen auch in die Gegenrichtung, denn das hochflächige Hinterland kommt einer Oase gleich. In sattem Grün bildet es einen starken Kontrast zur ausgedörrten kargen Meerseite. Ein spezielles Mikroklima lässt es im Hinterland viel öfter als an der Küste regnen, und es lauern auch fürs Karstgebirge typische Dolinen. Am Gipfel des Vošac thront eine der seltenen, simplen Berghütten. Leider stehen wir an jenem Tag vor verschlossenen Türen, erst zwischen Juni und September finden innerhalb der Steinmauern 15 Leute einen Schlafplatz.
Erst wenn die Sonne an Kraft verliert, können wir uns schneller als nötig bewegen. Vor dem Gute-Nacht-Getränk gehen wir an die im Abendlicht orange leuchtenden Felsen klettern. Eines Nachts werden wir aus unseren dalmatinischen Träumen gerissen. Es rüttelt heftig am Wohnmobil, worauf wir aus den Federn hüpfen, den Motor starten und einen windgeschützten Schlafplatz suchen. Hallo, Bura! Der Fallwind besucht uns mit ungefähr 90 km/h Stärke. An Klettern oder Baden ist nicht einmal zu denken. Im Sommer reinigt die Bura die Luft und flaut meist in bis zu zwei Tagen ab; im Winter hält sie oft über eine Woche an.
Peter Pesendorfer hat den Tipp, dass man, während die Bura weht, an den hinteren Wänden von Omiš windgeschützt seinem Hobby frönen kann. Omiš wird eine Dreiviertelautostunde nordwestlich von Makarska zum Ziel unserer stürmischen Flucht. Als wir in dem Städtchen ankommen, fühlen wir uns nicht mehr so stark vom Wind gebeutelt. Schnell ist klar, dass Omiš mehr als nur ein Zufluchtsort ist. Pittoresk verschmilzt das Ultramarinblau des Meeres mit dem Kalkgrau der hohen Felsen, obenauf prangt eine Burg, und darunter liegt der historische Ort, der vom Fluss Cetina geteilt wird. Rund ums 14. Jahrhundert war Omiš ein Zentrum der Seeräuberei in der Adria. Heute vereinnahmt es lieber Kletterfans. Spätestens jetzt verstehen wir, warum Peter so gerne hierherkommt.