Ich fahre wie auf Schienen durch die Winterlandschaft. Verwischt sausen weiße Bäume und Sträucher an mir vorbei. Die Schienen tauchen ab, führen einen kleinen Abhang hinunter, ich werde schneller. Hui, macht das Spaß! Eine Kurve. Ich versuche, wie beim Skifahren aufzukanten, doch Langlaufski haben keine Stahlkanten … Glücklicherweise ist die Loipenanlage gutmütig und der Kurvenradius so weit, dass ich trotz meines Tempos in der Spur bleibe und mein Geschwindigkeitsrausch noch länger andauert.
Kaum eine Wintersportdisziplin ist quer durch alle Altersstufen so beliebt wie das Langlaufen. Da schiebt ein kleiner Zwerg ganz ernsthaft vor den Eltern her, zwei junge Burschen skaten sportlich durch die Hügellandschaft, ein älteres Ehepaar nutzt die Loipe für eine gemütliche Skiwanderung – alle sind sie zufrieden, genießen die frische Luft und lassen die Winterlandschaft an sich vorüberziehen.
Langlaufen ist anerkanntermaßen gesund. Es spricht viele unterschiedliche Muskelgruppen an, regt den Kreislauf an und beansprucht auch bei hohem sportlichem Einsatz die Gelenke weniger als manch andere Sportart. Dass die Loipengebühr, die in verschiedenen Langlaufregionen erhoben wird, immer noch wesentlich günstiger als ein Tag auf der Piste ist, mag ebenfalls ein Argument sein.
„Langlaufen“ ist eigentlich nur der Überbegriff für eine Reihe von Fortbewegungsarten auf Skiern. Bis vor wenigen Jahrzehnten war man im Diagonalschritt unterwegs. Und wenn es bergab ging, schob man mit Doppelstockeinsatz kräftig an oder man nahm die Stöcke zwischen die Arme und ließ es laufen – im Schuss den Berg hinab! Sobald die Spur bergauf führte, hoffte man, dass man das richtige Wachs erwischt hatte, und wechselte schließlich doch in den Grätenschritt. Im Zweifelsfall fand man rasch Leidensgenossen, die ebenfalls „verwachst“ hatten. Oder man schielte neidisch auf die Schuppenskifahrer, die jetzt im Vorteil waren.
Dann kam der finnische Skilangläufer Pauli Siitonen. Er war einfach schneller als die anderen: mit einem Ski in der Loipe, mit dem anderen im Schlittschuhschritt. Regelbruch war das keiner, trotzdem wusste man nicht recht, was davon zu halten war. War er einfach besser? Oder seine Technik erfolgreicher?
Heute fragt keiner mehr, ob es ein Regelbruch ist, wenn man skatet. Langlaufen ist eine „tolerante“ Sportart, jeder darf nach seiner Façon glücklich werden, ob man nun klassisch im Diagonalschritt läuft oder skatet oder mit Nordic-Cruising-Skiern unterwegs ist. Die Entwicklung von Nowax-Skiern hat zudem den großen Wachskoffer überflüssig gemacht, in dem ohnehin nie das richtige Wachs lag. Die einzigen Fragen lauten heute: Gibt es im Langlaufgebiet meiner Wahl auch Skatingstrecken? Wie viele und wie lange Loipen existieren? Wie schwer sind diese?
In dem weiten Becken zwischen dem Kaisergebirge und dem südlichen Rand der Chiemgauer Alpen liegt ein zauberhaftes Gebiet für Langlauffans. Das Loipennetz umfasst klassische Strecken ebenso wie Skatingspuren – von einfach bis schwierig, von gemütlich bis sportlich-anstrengend. Anstrengend wird es jedenfalls, wenn man das gesamt Netz ablaufen möchte: 140 km sind gespurt.
Am Rand der Schwemm
Gleich für den Start haben mein Man und ich uns eine der schönsten Strecken ausgesucht. Die Runde am Rand der „Schwemm“ ist an die 10 km lang. Die Schwemm liegt nordwestlich von Walchsee, eingeschlossen zwischen Miesberg und Brennkopf/Wandberg. Sie ist das größte Moorgebiet Nordtirols und steht unter Naturschutz. Im Sommer leben hier seltene Wiesenbrüter, im Winter erlaubt uns die landschaftlich einmalige Loipe einen guten Einblick ins Gebiet.
Am Morgen liegt noch ein zarter Nebelstreif über der Ebene, ein paar Schilfblätter sind mit Eiskristallen überzogen. Zwei Damen neben uns einigen sich gerade, heute gleich mit Skating zu beginnen. Auch wir haben uns für die etwas kürzeren Skatingski entschieden, die makellos glatt präparierte Skatingbahn ist einfach zu verführerisch.
Die ersten Kilometer gleiten wir mühelos über die Ebene, jeder findet seinen Rhythmus. Allmählich beginnt ein leicht welliges Gelände. Der Puls beschleunigt sich. Ich bin froh, dass die Sonne die Luft bereits erwärmt hat, so fällt mir das Atmen leichter. Schließlich ist der höchste Punkt erreicht. Wir halten an, lassen die Winterlandschaft auf uns wirken. Dann folgt der Genussabschnitt: Fallend zurück in die Schwemm!
„Geht des guat heit!“ Ein älterer Herr steht schnaufend am Ziel- und Startpunkt der Loipe. Sein Gesicht glüht, seine Augen sprühen vor Lebenslust. „I glaab, i pack’s no mal.“ Mit einem Nicken verabschiedet er sich und nimmt mit langgezogenen Gleitschritten Fahrt auf.
Die Kaiserwinklloipe
Das Herzstück des Loipennetzes rund um den Walchsee ist die Kaiserwinklloipe. Sie verbindet Kössen mit dem Walchsee und führt über Hochau zurück nach Kössen. Hier spielt die Gegend all ihre Trümpfe aus: das schöne Rund des zugefrorenen Walchsees, das hügelige Bauernland mit den malerischen Kuppen und den vielen alten Einzelhöfen – eine Landschaft wie für uns Langläufer gemacht. Der absolute Blickfang sind aber die Felswände des Zahmen Kaisers, die direkt südlich des Walchsees aufragen und eine Kulisse sondergleichen bilden. Ich möchte nicht wissen, wie viele Stürze passieren, weil man hier vor lauter Schauen aufs Laufen vergisst … Wir jedenfalls kommen beim ersten Mal auf der Kaiserwinklloipe kaum vorwärts, so oft lockt das herrliche Panorama.
Ins Kaiserbachtal
Wer noch mehr Kaiserblick wünscht, dem sei auch die Loipe ins Kaiserbachtal empfohlen. Sie bringt uns mit fünf anstrengenden Kilometern von der Griesenau an den Gipfel von Maukspitze und Lärchegg vorbei direkt zu den berühmtesten Kaiserwänden Predigtstuhl und Fleischbank. Auf dieser Strecke sind einige Höhenmeter zu überwinden, man sollte daher sicher auf den Langlaufskiern stehen.
Wer ausreichend Kondition hat, kann sich für den Koasalauf anmelden (www.koasalauf.at). Der bekannteste Volkslanglauf Österreichs findet jeweils am zweiten Wochenende im Februar statt: Man kann am klassischen Wettbewerb oder am Skating-Rennen durch die schönsten Täler und Becken unter dem Kaisergebirge teilnehmen. Für passionierte Langläufer ein Muss!
Text von Andrea Strauß