Text und Fotos: Eva Gruber, Buchautorin
Es ist einer jener Herbsttage, an denen ein Nebelmeer die Täler verhüllt und man auf den Bergen „über den Wolken“ ist. Dieses Privileg erlebe ich auf der Schneealpe und bejuble es schon beim Aussteigen auf dem Parkplatz Kohlebnerstand (1450 m).
Über acht Kehren wandere ich auf einem geschotterten Fahrweg mit schönen Rax-Blicken dahin und sodann zwischen Latschenfeldern und Dolinen zu einem topfebenen Höhepunkt: zur Schneealpe (= Schneealm). Wie ein Bild erhabener Stille liegt hier auf ca. 1700 Metern eine etwa zwei Kilometer weite Alm, eingebettet zwischen sechs Bergkuppen. Ihre weite Ebene, ihre Kargheit, ihre nunmehr herbstlich-dürre Grasdecke erinnern mich an Bilder mongolischer Steppen. Das Goldblond des Almbodens zieren mehrere, an diesem wolkenlosen Tag saphirblau schimmernde Punkte – mit Wasser gefüllte Dolinen. Tief unter ihnen birgt das Berginnere einen wahren Schatz: reines Quellwasser, das von Neuberg in einem rund zehn Kilometer langen Tunnel zur 1. Wiener Hochquellenleitung fließt. Von der Alm führt der Panoramaweg Nr. 445 relativ flach zum Schneealpenhaus (1788 m), das bis Ende Oktober geöffnet ist. Nun geht es in westliche Richtung auf dem Nordalpenweg bis zur Rinnhofer- und Michlbauerhütte, wo der Anstieg zum Windberg (1903 m) beginnt, dem höchsten der drei Gipfel der Schneealpe. Seine Südwestflanke prägt weißer, großteils zu Schutt geborstener oder zerklüfteter Karst – eine alpine Mondlandschaft, in der einzelne Schneeflecke mitunter das ganze Jahr nicht schmelzen. Vom Gipfel öffnet sich ein großartiger Rundumblick auf Veitsch, Hochschwab, Dürrenstein, Ötscher, Göller, Gippel, Obersberg, Unterberg, Schneeberg, Rax, Stuhleck etc. Nach einem Schwenk über das Schneealpenhaus biege ich am Almboden in den Panoramaweg ein und folge ab dem Kinderböndle meiner Aufstiegsroute retour.
Schwierigkeit: ooo
Routeninfo: ca. 3,5 Std./9,8 km/500 Hm ↑
muerzeroberland.at
Immer wieder, zumal nach heftigen Regenfällen, lockt mich die Ysperklamm: eine zwei Kilometer lange, dank Aufstiegshilfen ganzjährig begehbare wilde Schlucht, durch die sich die Große Ysper in Kaskaden und imposanten Wasserfällen rund 300 Höhenmeter durch das größte geschlossene Waldgebiet Österreichs, den Weinsberger Wald, hinabstürzt.
Unter dem Holzportal in der Form einer altnordischen Rune namens „Mannaz“ (= Mann/Mensch) betrete ich die Klamm und bin sofort begeistert: Gischtend und rauschend ergießt sich der Bach – oft über hohe Stufen frei fallend – zwischen Felsblöcken talwärts. In Tümpeln verlangsamt sich sein Wasser und schimmert dank des hohen Gehalts an Eisen und Huminsäuren im Boden intensiv rostrot. Bemooste Granitblöcke, kleine und wohnwagengroße, sowie Baumstämme liegen im Bachbett und in der Schlucht. Ab dem Rastplatz, bei dem die Obere Klamm beginnt, wird es steiler. Eine fast durchgehende Steiganlage führt nun nahe einer Folge ohrenbetäubender Wasserfälle bergan bis zum Ende der Klamm.
Ab hier folge ich dem markierten Druidenweg (Weg 31) in ein Reich der Stille – zu dem, was man als Keltenkultstätten propagiert: die Phantasie anregende, mystisch wirkende Steinformationen, die „Phallus und Vulva“, „Sitzender Hund“ und „Sphinx“ getauft wurden. Diese Steine sind die wollsackverwitterten Reste uralter Gipfel des Variszischen Gebirges, das sich erhob, als Gondwana und Laurussia vor 420 bis 250 Millionen Jahren kollidierten.
Der Weg geleitet mich zu einem weiten von Steinen übersäten Platz im Wald. Man sagt, hier hätten keltische Druiden von 450 bis 350 vor Christus ihre Riten zelebriert. Gewiss ist jedenfalls, dass dem märchenhaft gelegenen Druidentreffpunkt eine mystische Aura anhaftet.
Neben der Keltenmystik sind auch die Schalensteine – kreisrunde Vertiefungen im Fels mit fraglicher Entstehungsgeschichte – rätselhaft. 1500 Schalen hat man im Waldviertel gezählt. Im Weinsberger Wald steht eine Schale senkrecht, die „Große Schale“ enthält auch im trockensten Sommer Wasser, und auf dem „Böndel“ sind 13 Schalensteine kreisförmig angeordnet.
Danach steige ich auf zum aussichtsreich gelegenen Kaltenbergkreuz, nehme dort den Steilabstieg (kann man auf dem Forstweg umgehen) hinunter zur Kaltenbergstraße und erreiche über das Gut Wim die Klammstraße, auf der ich 650 Meter zu meinem Auto am Parkplatz spaziere.
Routeninfo: ca. 4 Std./11 km/500 Hm ↑ (nur Klamm hin & retour: 2 Std./4 km/300 Hm ↑)
Die Betreiber raten, die Klamm nur bergan zu begehen.
ysperklamm.info
An einem sonnigen Oktobertag zieht es mich in die Thermenregion zwischen Baden und Mödling – denn hier bin ich mitten in Weinkulturen und zugleich dem Wasser nahe, weil diese Wanderung auf dem „1. Wiener Wasserleitungsweg“ verläuft. Ausgangspunkt meines Ausflugs ist der Bahnhof Baden. Ich spaziere durch das Zentrum von Baden zum Kurpark, in dem man auf der Höhe des Beethoven-Tempels auf den „Wasserleitungsweg“ trifft.
Nach Baden liegt die Landschaft in leuchtendem Rot und Gelb vor mir. Sie durchwandernd – mal entlang der Breit-, mal entlang der Längsseiten der Rieden – ist mir, als ginge ich durch ein gigantisches abstraktes Gemälde, auf dem die von Hellgelb bis zu Braunrot reichenden Farbzeilen mit einer Latte oder Spachtel aufgebracht wurden. Wie Silberhaar schimmern da und dort im Gegenlicht Altweibersommerfäden, die vom leisesten Hauch langsam schlingernd durch die Luft getragen werden, bis sie sich an einem Halm, Busch oder Weinstock verfangen, ehe sie erneut erfasst werden. Das Festliche der Landschaft, das Himmelsblau, die Wärme und die Rieden, die, der Hangneigung folgend, oft eine leichte Schräglage haben – als hätten sie ein Achterl zu viel erwischt –, all das macht mich beschwingt, ganz ohne Wein. Hier, wo heranwächst, was mit „fruchtiger Säure“, „feiner Blumigkeit“ und „goldenem Schimmer“ zum Genuss lockt, kann man sich in Buschenschenken bei einer Weingartenpfirsichbowle oder einem Sturm herrlich bacchantisch der Feier des Augenblicks hingeben, ganz im Sinne des Liedes „Es wird a Wein sein, und wir wern nimma sein …“. Tatsächlich ist die Geschichte des örtlichen Weinbaus von Dauer: Sie begann vor mehr als 2000 Jahren, als die Römer hier erste Reben pflanzten.
Nach dem äußerst romantischen Weinort Gumpoldskirchen geleitet einen der „Wasserleitungsweg“ weiter nach Mödling, vorbei am Freigut Thallern, einem Weingut des Stiftes Heiligenkreuz, an der Weingartenkapelle in Guntramsdorf und am Eichkogel mit seinen Halbtrockenrasen und Flaumeichenbeständen.
Schwierigkeit: oo
Routeninfo: ca. 3,75 Std./14 km/100 Hm ↑
Eva Gruber
Stille Wasser, weite Berge, goldener Wein
Wanderungen im Osten Österreichs
Paperback, 192 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, GPS-Daten, Skizzen und Beschreibungen der Routen, Styria-Verlag, ISBN 978-3-222-13682-5, 23 €
In 24 sorgfältig ausgewählten landschaftlich herausragenden Wanderungen zu Wein, Wasser und Berg im Osten Österreichs zeigt Eva Gruber beeindruckende Naturerlebnisse im Osten Österreichs: rauschende Wasserfälle, bemooste Felsen, mystische Wälder und herbstgoldene Weinberge. Mit anregenden Ausflugstipps und Wegbeschreibungen erzählt sie über das, was sonst in Wanderbüchern kaum zu finden ist: über die einfühlsame Begegnung mit der Natur, der Landschaft, aber auch mit Kultur und Geschichte – über all das, was Wanderungen zu einzigartigen Erlebnissen macht.