Text: Thomas Behm, Martin Gumpold
„Seelenlandschaft“ - diese Bezeichnung verwenden wir, wenn wir als eingefleischte Hochschwab-Liebhaber einer nichtheimischen Kletterin bzw. einem nichtheimischen Kletterer in aller Kürze die Eigenschaften jenes weitläufigen Gebirgsmassivs am Ostrand der Alpen zu beschreiben versuchen. Ist sie/er eine Kletterin/ein Kletterer, die/der auf hohe Schwierigkeitsgrade, mächtige oder berühmte Wände und sonstige konsumzeitaltersgemäße Superlativen fixiert ist, wird sie/er uns mit einem unverständlichen Blick strafen.
Handelt es sich um einen zeitgemäßen hedonistischen „Plaisirfreund“, der am liebsten aus seinem Elektromobil aus sichert, wird er angesichts der oft langen Zustiege sich mehr oder weniger dankend wieder seinen Plastikgriffen zuwenden.
Alle, für die Klettern mehr bedeutet, als schnell wo neben der Autobahn ein paar Züge zur Fitnessakrobatik abzuspulen, werden sich in dem steirischen Gebirge schnell zu Hause fühlen. In den scheinbar endlosen Weiten dieses riesigen Gebirges, wo Adler kreisen und Steinböcke den einsamen Weg kreuzen, wo einem nach zwei Stunden Fußmarsch zu den entlegensten Felswänden fabulöse Felsqualität ohne Menschenmassen erwartet, erlebt man die Schönheit und Intensität des Kletterns im Gebirge. Hier findet man möglicherweise sein Glück, erlebt prägende Momente in der Natur.
Die Kletterführer-Literatur ist veraltet bzw. bietet nur einen kleinen Auszug aus der nicht enden wollenden Vielfalt der Hochschwab-Gruppe. Denn in den letzten Jahren hat sich am Hochschwab im Kletterbereich sehr viel getan. Zu den vielen bestehenden Kletterrouten wurde eine große Anzahl neuer Wege erschlossen: Routen mit bis zu 24 Seillängen, vom dritten bis zum zehnten Grad. Sie brauchen mit ihrer Schönheit und Exklusivität keinen Vergleich zu scheuen!
Des Weiteren wurden die meisten Klassiker mit Bohrhaken saniert, und so manches Dornröschen wurde wachgeküsst. Auch für Freunde kurzer Zustiege sowie von Plaisirrouten und Klettergärten gibt es nun in Talnähe ein reiches Betätigungsfeld.
Hoch über allem ragt das mächtige Gipfelkreuz des Hochschwabs, dem höchsten Punkt unserer „Seelenlandschaft“, der wir nun einen würdigen Kletterführer schenken (siehe Buchtipp). Zum Gustomachen im Folgenden vier unterschiedliche Routen, die auch im neuen Kletterführer enthalten sind.
Borderline 5+ (5 obl.)
Unscheinbar in den Weiten der Südabstürze, neben so markanten Felsburgen wie Stangenwand und G’hacktstein, liegt der Gipfel des Wetzsteinkogels, der erst Berühmtheit erlangte, als der Wiener Ausnahmekletterer Karl „Floh“ Kosa 1968 die eindrucksvollen Wasserrillen der Südwestwandplatte erkletterte - noch mit fetten Bergschuhen und nur wenigen Normalhaken. Die sogenannte Wetzsteinplatte gehört heute noch zu den besten und beliebtesten Klassikern im 6. Grad in den Ostalpen.
Die 2014 von Sepp Lang und Tom Richter eröffnete Route „Borderline“ verläuft etwas weiter rechts durch ebenso schöne Rillen und oben über geputzte Wandstellen in sehr gutem Fels. Auch wegen der hervorragenden Bohrhakenabsicherung hat sie das Zeug zur absoluten Modetour, die der klassischen Wetzsteinplatte kaum nachsteht.
Felsenfenster Nordwand 8 (7 obl.)
Das Felsenreich der Fölzalm zählt seit jeher zu den eindrucksvollsten Kletterarealen in den Weiten des „Schwobn“. Die gemütlichen Almhütten werden von haltlosen, dunklen Felsmauern dolomitengleich überragt. Mit der Route „Tortour“ findet sich hier eine der schwersten Mehrseillängentouren Österreichs.
Das Antlitz der Schartenspitze ist von einem riesigen Felsenloch geprägt. Die daran vorbeiführende Route „Felsenfenster Nordwand“ ist eine der Meisterleistungen von Rudolf Ägyd Lindner, einem der intimsten und verwurzeltsten Hochschwab-Kenner. 1963 hakentechnisch erstbegangen, folgte alsbald die Winter-Solobegehung durch den Meister selbst, ehe die Route 1983 von den legendären Gruber-Brüdern Roman und Ernst onsight geklettert wurde, noch mit den alten Haken, versteht sich.
Dank der kürzlich fertiggestellten Sanierung ist dieser Extremklassiker deutlich sicherer geworden. Nach wie vor verspricht er ein fantastisches Klettererlebnis in unglaublich rauem, weißem Kalk!
Muchas gracias, amigos 5+ (5- obl.)
Die Nordflanke des Hochschwab-Gebirges ist rau, einsam, wild und von durchdringender Mächtigkeit. 1600 Meter Höhenunterschied sind es vom grünen Paddelparadies der Salza bis zum Hochschwab-Gipfel. Dazwischen gibt es kaum Wege, oft undurchdringliche Wildnis und bis vor wenigen Jahren auch nur wenige Kletterrouten.
Die Ringe, bestehend aus dem Unteren und den Oberen Ring, sind sicherlich eine der eindrücklichsten Felsformationen im steirischen Gebirge. Jedem Kletterer, der sie zum ersten Mal erblickt, bleibt der Mund offenstehen. Die Ringe beherbergen mittlerweile viele moderne und sanierte Routen. Wer die Mühen des Zustiegs nicht scheut, wird vom Klettern in dieser wunderschönen Landschaft beglückt sein.
„Muchas gracias, amigos“ ist mit über 800 Klettermetern eine der längsten Routen. 2019 von Sepp Lang, Robert Zink und Martin Gumpold erstbegangen, führt sie durch die gewaltige Wandflucht des Höllkamps im Oberen Ring. In ihrem Verlauf sucht sie den leichtesten Weg. Man klettert daher auch immer wieder in schrofigen Passagen und leichtem Gelände, überwiegend jedoch in festem, oftmals schönem Fels. Alle Stände sind mit zwei Bohrhaken versehen, und auch dazwischen gibt es in größeren Abständen Bohrhaken. Die Schlüsselstellen sind gut abgesichert. Cams sind hilfreich, auch SU (= Sanduhren) können gefädelt werden. Wer den fünften Grad beherrscht, wird die Kletterei genießen. In Summe ein lohnender Wanddurchstieg auf den Höllkamp.
Baumgartnerweg 3+ (obl.)
Der Oberklassiker in der Südwand! Es ist dies die wohl berühmteste Erstbegehung von Ludwig Obersteiner und Zeno Baumgartner, zweier eifriger Früherschließer des Hochschwabs, anno 1920. Durch den gut abgekletterten Fels und die niedrigen Schwierigkeiten ist diese Route sehr beliebt und eine der am häufigsten gekletterten Touren am Hochschwab. Trotz der gebohrten Stand- und Zwischenhaken sollte einem bewusst sein, dass man eine alpine Route klettert. Die Beherrschung des Schwierigkeitsgrades ist unbedingt anzuraten.
Im unteren Teil dominiert eher steile Kletterei in gutem Fels, ehe man unter dem großen Wulst nach links quert und letztendlich in zunehmend schrofigem Gelände nahe dem Gipfelkreuz aussteigt.
Autoren: Martin Gumpold, Christian Leitinger, Thomas Behm
Mehr als 500 Seiten mit zahlreichen Fotos und Topos, Erscheinungstermin: voraussichtlich Ende Juni 2020, Eigenverlag
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich am „Schwobn“ einiges getan: Zahlreiche Touren wurden erstbegangen, viele klassische Anstiege mit Bohrhaken saniert und ein paar talnahe Klettergärten eingerichtet.
Im neuen, sehr umfangreichen Kletterführer für das Hochschwab-Gebiet werden rund 350 Mehrseillängenrouten sowie 15 Klettergärten mit detaillierten Anstiegsskizzen, genauen Routeninformationen und übersichtlichen Wandfotos präsentiert. Zahlreiche spektakuläre Kletterfotos und interessante Infos über die Hochschwab-Region runden das Werk ab. Alle wichtigen Informationen gibt es auch auf Englisch.
Um die wunderschönen handgezeichneten Topos voll zur Geltung zu bringen, wurde für den Band das Format A4 gewählt.