Das bekannte Gefühl aus Vorfreude und Nervosität wird mit jedem Kilometer, den wir uns südwärts bewegen, stärker. Spätestens als wir den Brenner hinter uns lassen, erfasst mich das Reisefieber endgültig. Das hat auch sicherlich mit dem Espresso zu tun, der gerade einen warmen, bitteren Geschmack in meinen Mund zaubert. Jetzt weiß ich es wieder: So schmeckt nur Italien.
Dieses Mal sind es aber nicht die altbekannten Ziele, die mein Freund und ich anpeilen, sondern ein für uns völlig neues Terrain im östlichen Trentino: „Dolomiti Lagorai Bike“. Diese Mountainbike-Region setzt sich aus der Valsugana, dem Val di Fiemme (Fleimstal), dem Val di Fassa (Fassatal) und aus der Umgebung von San Martino di Castrozza zusammen. Hier wollen wir in den nächsten Tagen unsere Spuren hinterlassen und Urlaub machen. Wir haben in der kleinen Ortschaft Transacqua im Hotel Castel Pietra für vier Nächte ein Zimmer gebucht und wollen von dort aus MTB-Touren unternehmen.
Etwas südlich von Bozen verlassen wir die Autobahn und finden uns nur wenig später in einer traumhaften Dolomiten-Landschaft wieder. Die bizarren Felsformationen thronen über sanften Wiesen und Wäldern, dazwischen liegen immer wieder malerische Ortschaften: Oh ja, das wird ein ganz besonderer Aktivurlaub!
Am nächsten Morgen nach einem köstlichen Frühstück geht es auch schon los. Renzo, der Chef des Hauses und begeisterter Mountainbiker, begleitet uns. Mit ihm haben wir am Abend zuvor eine tolle Mountainbike-Tour ausgesucht. In seinem Tourenportal wird sie als „Almhütten-Tour des Vanoi-Tals“ beschrieben. Das klingt zwar recht romantisch, doch die Tour hat es in sich: Auf einer Länge von 49 km sind 1437 Höhenmeter (Hm) zu bewältigen!
Die Tour startet gemächlich, sodass uns Renzo ein wenig über die Region berichten kann, während wir gemütlich dahinstrampeln. Besonders reizvoll ist, dass die Bike-Saison von April bis November reicht – das milde Klima macht es möglich. Der Herbst ist hier besonders schön; die wunderbar klare Luft ermöglicht eine unglaubliche Weitsicht. Außerdem ist die Gegend nicht so überlaufen wie der Gardasee. Sie ist perfekt für einen erholsamen Urlaub in der Natur.
Wer auf sportliche Abwechslung steht, kann sich hier in den südlichen Dolomiten so richtig austoben. Auf dem Programm stehen Klettern (es gibt auch einen Hochseilgarten), Paragliden, Canyoning und natürlich Bergsteigen. Enzo erzählt uns noch von seinem wöchentlich wechselnden Bikeprogramm und dem Fahrtechnik-Training, als ich bemerke, dass meine Oberschenkel sich langsam, aber sicher zu Wort melden. Der Weg wird immer steiler, und ich muss schon kräftig in die Pedale treten. Ein Blick zu meinem Freund bestätigt mir, dass auch er schon ins Schwitzen kommt. Nur Renzo erzählt munter weiter, als ob gar nichts wäre. Wie oft er diese Strecke pro Sommer fährt? „Im Sommer bin ich mehr auf dem Rad als im Hotel anzutreffen - natürlich nur zum Wohl meiner Gäste. Ich kenne auch Trails, die ihr ohne mich gar nicht finden würdet“, gibt mir Enzo zur Antwort.
In den südlichen Dolomiten kann man sich beim Klettern, Radeln, Canyoning und Bergsteigen so richtig austoben
Nach mehrmaligem Auf und Ab und einer kurzen Schiebepassage erreichen wir die Hütte Malga Fossernica di dentro (1777 m). Wir haben schon über 1000 Hm bewältigt. Nicht schlecht! Jetzt haben wir uns einen deftigen Snack verdient. Der lässt auch nicht lange auf sich warten. Wenige Minuten später machen wir uns über regionale Köstlichkeiten wie Käse, Prosciutto, selbstgemachte Butter und frisch gebackenes Bauernbrot her. Perfekt!
Nach der Pause erwartet uns noch ein kürzerer Anstieg. Dann lassen wir den Stollenreifen freie Fahrt talwärts. Auch die Abfahrt ist technisch anspruchsvoll. Der alte Saumpfad nach Caoria ist steil und nach Regenfällen ziemlich rutschig. Zum Schluss fahren wir parallel zur Strecke von heute Morgen zurück zum Hotel. Dort angekommen, schreien die bequemen Liegen im Hotelgarten nach uns. In einer gemütlichen Ecke, in der es nach Himbeeren duftet, machen wir es uns bequem. Bis zum Abendessen rühren wir uns nicht mehr vom Fleck.
Das Hotel Castel Pietra ist für seine vorzügliche Küche bekannt. Da wir von unseren letzten Italien-Reisen gutes Essen gewohnt sind, freuen wir uns umso mehr, dass diese Geschmackserlebnisse sogar übertroffen werden. Ich kann sagen, das Abendessen bildet einen würdigen Abschluss dieses grandiosen Mountainbike-Tags.
Obwohl uns die Augen schon schwer werden, planen wir noch die nächsten Tage. Morgen geht es noch mal mit dem Mountainbike los, und am letzten Tag unseres Urlaubs wollen wir uns unserer zweiten Leidenschaft widmen: dem Klettern. Auch wenn wir das nicht so geplant haben, aber die blassen Felsen, an denen wir heute vorbeigefahren sind, haben uns darauf Gusto gemacht. Wir wollten einen Urlaub nach Lust und Laune verbringen – und genau das machen wir jetzt auch. Den grenzenlosen Outdoor-Möglichkeiten dieser Region sei Dank!
Text: Marlene Seitz, Fotos: Stefan Schopf
Im Trentino, speziell in der Region „Dolomiti Logorai Bike“, darf man mit dem Mountainbike ausschließlich auf den dafür gekennzeichneten Wegen unterwegs sein. Ein Fahrverbot gilt zudem auf Wegen, die eine Steigung bzw. ein Gefälle von 20 % und mehr aufweisen, sowie auf Wegen, deren Breite weniger als der Radstand beträgt. Diese Wegabschnitte sind durch Schilder gekennzeichnet. MountainbikerInnen müssen sich also an die ausgeschilderten Routen halten; sie können auch eine geführte Tour mit einem ortskundigen Bike-Guide buchen.
Die im Beitrag beschriebene Tour Nr. 262 ist auf der offiziellen Tourenkarte der Region angeführt.
Tourenkarte: file:///C:/Users/mas/Downloads/itinerari-mountain-bike-san-martino-di-castrozza.pdf