Eisklettern in Osttirol
Text und Fotos: Michael Kohlhuber, Mitglied des Naturfreunde-Alpinkaders
Februar 2020. Kurz vor dem Lockdown. Schon seit längerem hat es mich gejuckt, wieder einmal eine Eisklettertour zu unternehmen. Nach einem eher schlechten Winter und einigen warmen Tagen Ende Jänner war gutes Eis bei uns zu Hause Mangelware. Also habe ich einen geeigneten Spot gesucht. Nach eingehender Recherche in diversen Kletterforen und einer umfassenden Wetteranalyse stand fest: Am Obstanser Eisfall in der Nähe von Kartitsch in Osttirol gab es aufgrund der geschützten Höhenlage noch immer gute Bedingungen.
Die Karnischen Alpen sollten es also werden. Perfekt, denn das Gebiet ist für Eiskletterfans ein wahres Eldorado! Der Obstanser Eisfall (Schwierigkeit: WI4-WI5) besteht aus drei Hauptlinien, die erst ganz oben zusammenlaufen. Ich selbst habe dort vor Jahren mit dem Eisklettern begonnen. Aufgrund der Beschaffenheit des Eisfalls gibt es sowohl für EinsteigerInnen als auch für erfahrene Kletterinnen und Kletterer jede Menge gutes Terrain.
Ich bin dann mal weg …
Klar, dass ich meinen Kletterkollegen Leander nicht erst lange überreden musste, mich auf dieser Tour zu begleiten, denn gemeinsam macht so ein Ausflug natürlich doppelt so viel Spaß! Mit dicken Schlafsäcken, Kletterausrüstung, genügend Verpflegung und jeder Menge guter Laune fuhren wir gleich am Mittag des nächsten Tages Richtung Lienz. Wer schon einmal einen Road-Trip unternommen hat, weiß, wie sich das anfühlt: kein Stress, keine Hektik, gute Vibes, Freiheit pur. Wir suchten uns mit unserem Bus einen geeigneten Platz für die Nacht und standen am nächsten Tag noch im Dunkeln auf. Die Nacht war extrem kalt gewesen, und die Fensterscheiben waren auf der Innenseite leicht angefroren. Nach dem Frühstück packten wir die Ausrüstung zusammen, und schon kurze Zeit später stapften wir durch den hohen Schnee. Das Wetter war gut, die Luft war frisch und klar, und als wir am Fuß des Obstanser Eisfalls ankamen, stockte uns kurz der Atem. Der Eisfall zeigte sich in all seiner Pracht, und wir stellten zu unserer Überraschung fest, dass wir hier die einzigen waren! Mittlerweile kribbelte es uns schon mächtig in den Fingern. Voller Vorfreude packte ich die letzten Eisschrauben zusammen und machte mich mit bereits durchgezogenen Seilen bereit für den Vorstieg.
„Na, was treibst du denn so lange?“, fragte ich Leander, der in seinem Rucksack kramte, sein Blick war leicht verzweifelt. Sein Gurt musste doch da irgendwo sein! Nachdem wir alles ganz genau abgesucht hatten, musste er etwas geknickt feststellen, dass er seinen Gurt wohl im Bus liegen gelassen hatte. Tja, auch routinierten Kletterern kann so etwas passieren … Leander lief also durch den hohen Schnee zurück zum Parkplatz, und ich vertrieb mir währenddessen die Zeit mit Eisbouldern, um nicht zu sehr auszukühlen und um mir einen ersten Eindruck von der Beschaffenheit des Eises zu machen.
Eine gelungene Tour
Schließlich kam Leander nach einer Weile freudestrahlend zurück, und wir konnten starten. Flott kletterte ich die erste Seillänge und sicherte meinen Partner nach. Das Eis war fest und spröde. Teilweise brachen größere Eisplatten aus, was sich als durchaus anstrengend erwies. Die dritte Seillänge machte dann aber alles wett: Überall wuchsen pilzartige Eisknollen aus dem Fall heraus, und wir hatten großen Spaß. Für die Ausstiegslänge entschieden wir uns für ein Klettern am laufenden Seil, da die Schwierigkeit stark nachließ und es sich um ein paar Meter paralleles Klettern handelte. Oben angekommen, gratulierten wir uns mit breitem Grinsen für die gelungene Tour und belohnten uns mit einer Tasse Tee und Müsliriegeln. Unser Trip Richtung Süden hatte sich sehr gelohnt, auch wenn Leander künftig bestimmt zweimal seinen Rucksack kontrollieren wird, bevor wir aufbrechen!
Wer ein paar Tage mehr einplant, könnte den Ursprungsfall im Reintal klettern oder der Region „Sappada“ im Nordosten Italiens einen Besuch abstatten, wo es sehr viele tolle Eisklettertouren zu entdecken gibt.