Nordwand „Walkerpfeiler
Grand Jorasses – Nordwand „Walkerpfeiler“
Begehung am 18./19. 08.2012 durch die Mitglieder des Naturfreunde Alpinkaders Roland Striemitzer und Clemens Jerabek
Text von Clemens Jerabek
„Seil eiziagn! Is des a Kråmpf!“. Roli zieht das Seil ein, der schwindlige 0,75er Friend im unteren Teil des Rebuffat Riß´ hält, ich atme durch. „De Steigeisen machen mi fertig! Des geht so net!“ rufe ich zum Roli hinunter. Meine Stimme hallt durch den gewaltigen Talschluss des Grand Jorasses Massivs.
Wir bewegen uns gerade im unteren Teil des Walker Pfeilers an der Grand Jorasses Nordwand. Beziehungsweise bewegt sich eigentlich in diesem Moment keiner von uns beiden. Roli steht am Stand nach einer absteigenden Querung und sichert, ich hänge an diesem kleinen Friend und hadere mit den Steigeisen, die das Durchsteigen dieses Risses für mich unmöglich machen. Roli lässt mich zu einem Absatz mit einem geschlagenen Haken hinunter, ich wechsle die steigeisenbewährten Bergschuhe, im Gurt hängend etwas umständlich gegen die im Rucksack befindlichen Kletterpatschen. „Pass auf, dass dir nix obifoit, sunst kennan ma einpockn!“ ist der treffende Kommentar von Roli dazu, der immer wieder zur Eile mahnt. Also Bergschuhe und Steigeisen auf den ohnehin schon schweren Rucksack und los. Diesmal geht’s, ich kämpfe mich den Riss nach oben.
Nach weiteren ewigen Minuten bin ich völlig ausgepumpt am Standplatz. Nach dem Kraftakt wir machen eine Trinkpause und sehen, dass wir für die ersten 300 hm über 4 Stunden gebraucht haben. Es ist 10 Uhr vormittags und es liegen noch 900 Hm vor uns, also keine Zeit verlieren….
Als wir am Freitagnachmittag diese riesige Granitmauer das erste Mal von der Montevers- Bergstation erblicken, stockt uns der Atem und es läuft uns ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Diese mehr als berühmte Wand vor uns und wir wollen mitten durch!
Als wir, dann nach einem mühsamen Schotterspaziergang über den Glacier de Leschaux, die Wand aus Eis, Schnee und Fels von der Leschaux-Hütte mit dem Fernglas beäugen, erfahren wir, dass sehr hohe Stein- und Eisschlaggefahr im Pfeiler und sehr schwierige Verhältnisse mit viel Eis und Schnee in der Route herrschen. Darüber hinaus wurden angeblich alle Seilschaften, die den Pfeiler versucht haben, vom Hubschrauber rausgeflogen. Na bravo, wir haben den Mut schon fast verloren!
Abwechselnd schauen wir trotzdem immer noch gespannt mit dem Fernglas in die Wand und sehen zu unserem Erstaunen, obwohl die Sonne in den oberen Bereich scheint, keinen Eisschlag und die meisten Bereiche der Route sehen von unten trocken und gut begehbar aus! Wir zögern… Letztlich beschließen wir, einen Versuch zu wagen, und bestellen ein Bier, um die Sache zu besiegeln!
Am nächsten Morgen um Viertel vor 2 läutet der Wecker, ich bin schon wach, Roli auch. Wir machen uns fertig, es ist extrem warm, keine Wolke am Himmel, sternenklar, perfekt. Das Frühstück ist schnell hinuntergewürgt, um halb 3 gehen wir los! Im Schein der Stirnlampen stapfen wir über den Gletscher, im oberen, spaltigen Teil finden wir Spuren von absteigenden Seilschaften vom Vortag. Deshalb kommen wir sehr gut durch den Bruch und sind schon um halb 5 beim Einstieg! Wir warten bis halb 6 und als das erste fahle Licht den riesigen Eisbruch am Pfeilerfuß erhellt, steigen wir ein….
Wir befinden uns nach dem „Rebuffat“- Riss abwechselnd in gut kletterbaren Rissund Verschneidungsseillängen und in grausigem Eis-Granitbruch und werden deshalb die Steigeisen nicht los. Obwohl keine großartigen Schnee- und Eismengen in diesem Mittelteil liegen, ist es zu viel, um die Eisen wegzupacken.
Ich merke, wie mir die Kräfte schwinden, ich hänge vollkommen kraftlos an einem Stand mit zwei soliden Normalhaken und freue mich über diese Insel der Sicherheit. Ab jetzt geht Roli voraus, da ich erst mal wieder zu Kräften kommen muss. Es geht Seillänge für Seillänge nach oben. Im zweiten Drittel erwarten uns die 75 Meter Verschneidung und einige weitere Seillängen mit knackigen 5+ A0-Passagen, die sich mit Steigeisen und schwerem Rucksack viel schwieriger anfühlen, als sie sich im Führer lesen.
Im oberen Teil angekommen, in dem laut Führer noch 8 - 9 Seillängen 3er- bis 4er- Gelände an der Pfeilerkante warten, ziehen wir die Steigeisen wieder einmal aus und kommen gut voran. Aber als Dreier gehen diese Längen daheim nicht einmal mit Bohrhakenabsicherung durch. Den Abschluss dieser Pfeilerkante bildet der rote Kamin, der sich für uns als wirklich toller Eisschlauch darstellt.
Ein Blick auf die Uhr verrät: 17:30, ein Durchstieg heute wird hart und es ist fraglich, ob wir den Abstieg im Dunkeln wagen sollen!
Die Sonne brennt nun in den Teil des Pfeilers, in dem wir uns befinden, die Trinkflaschen sind leer, die Zunge klebt am Gaumen und unsere Kräfte lassen immer weiter nach. Die einzige Freude: Der Roli hat noch Weingummi im Rucksack – wieder ein bisschen Energie.
Nach einer Querung um den roten Turm, schreit Roli irgendetwas. Ich bin des Tirolerischen noch nicht mächtig genug, um es aus dieser Entfernung verstehen zu können, aber ich merke an seinem Tonfall, dass es etwas Gutes sein muss. Ich klettere zu Ihm nach oben und erblicke fließendes Wasser. Es rinnt direkt über die Route und ergießt sich in einem kleinen Wasserfall die Wand hinunter, so dass wir bequem unsere Flaschen auffüllen und trinken können. Das hebt die Stimmung! Es ist ca. 19:00Uhr, als wir uns letztlich einig werden, dass der Weiterweg zu riskant wäre, obwohl der Durchstieg in greifbarer Nähe ist. Wir beschließen ca. 150 Hm unterhalb des Gipfels auf einem recht kleinen, aber windgeschützten Platzerl die Nacht zu verbringen. Wir verkriechen uns in den Biwaksack und versuchen etwas zu entspannen. Der beeindruckende Sonnenuntergang hellt die Stimmung etwas auf. In der zweiten Nachthälfte wünschen wir uns aber nichts sehnlicher, als dass es endlich wieder hell wird, um weiterklettern zu können.
Mit dem ersten Licht starten wir los.
Die letzten Seillängen zum Gipfel sind sehr beeindruckend. Die Sonne geht gerade auf, als wir von einem Gratabsatz einen kombinierten Eisschlauch direkt zum Gipfel hinaufsteigen. Die Müdigkeit ist verflogen, als wir um 7 Uhr früh mit den ersten Sonnenstrahlen am „Point Walker“ stehen und uns gegenseitig gratulieren. Angesichts des gewaltig langen Abstiegs beeilen wir uns mit den Gipfelfotos und gehen nach kurzer Zeit schon Richtung Point Whymper. Der weitere Abstieg nach Entreves führt abwechselnd über Grate und Gletscher und ist elends lang. Es wird immer heißer und wir fantasieren pausenlos von einem kühlen Bier auf dem Rifugio Boccalatte. Aber der Traum verfliegt, als wir sehen, dass die Hütte zu einer Selbstversorgerhütte umfunktioniert wurde und nicht einmal Wasser und schon gar kein Bier vorhanden ist.
Also weiter. Nach weiteren 1,5 Stunden erreichen wir Entreves. Glücklich darüber, dass wir diesen mächtigen Pfeiler durchsteigen konnten, trinken wir noch ein, zwei Elektrolytgetränke (☺) und treten dann die Rückreise per Bus nach Chamonix an, welche einwandfrei funktioniert.
Nicht so mein Auto, das die geplante Überfahrt ins Valle di Orco, wo die anderen Mitglieder des Alpinkaders schon auf uns warten, nicht schafft, sondern etwa 40 km davor den Dienst verweigert. Nach längerem Hin und Her werden wir von einem italienischen Pannendienst abgeschleppt, um 23:30 Uhr in einem Hotel einquartiert und am nächsten Tag zur Werkstatt gebracht. Diagnose: Wasserpumpe und Lichtmaschine defekt!
Nach diesem ungeplanten Umweg kommen wir dann doch noch am Montag mit einem reparierten Auto, vollkommen zerschundenen, blutigen Händen und jeder Menge zu erzählen am Campingplatz an, wo eine ganze Woche Rissklettern auf uns wartet….